„Begeisterung war die halbe Miete“ - Zeitzeugen geben persönliche Einblicke in Entwicklung des lokalen Rundfunks in Bayern
Die Entwicklung des lokalen Rundfunks in Bayern ist ein spannendes und erfolgreiches Stück Zeitgeschichte. Davon konnten sich gestern im Rahmen einer Informationssitzung des Medienrates der BLM rund 120 geladene Gäste überzeugen. Bekannte Zeitzeugen diskutierten mit viel Leidenschaft über die politischen, strukturellen und programmlichen Anfänge der privaten Lokalradios und TV-Sender in Bayern.
Erstmals soll die „Entwicklung des lokalen und regionalen Rundfunks in Bayern“ im Rahmen eines vom Medienrat initiierten Forschungsprojektes wissenschaftlich aufgearbeitet werden. „Es ist eine Erfolgsgeschichte: Lokale und regionale Radio- und TV-Programme sind heute überall präsent und erreichen ein Millionenpublikum. (…) Ich bin sehr froh darüber, dass die Leistungen aller am Aufbau Beteiligten nun auch wissenschaftlich gewürdigt werden“, begründete Medienratsvorsitzender Walter Keilbart den Auftrag an das Forschungsteam um Prof. Dr. Markus Behmer von der Universität Bamberg.
Maßgeblich beteiligt am 1984 gestarteten Aufbau der lokalen Rundfunkvielfalt in Bayern war die Landeszentrale. „Heute leisten wir unseren Beitrag dazu, diese Vielfalt zu erhalten“, betonte BLM-Präsident Siegfried Schneider. Er zeigte sich erfreut, dass im neuen Koalitionsvertrag der Erhalt und die Stärkung regionaler und lokaler Radio- und Fernsehsender explizit festgehalten sei.
Unter dem Motto „Vielfalt vor Ort“ skizzierte der Kommunikationswissenschaftler Behmer das Ziel der Studie: Es gehe nicht um Verheißungen, sondern um eine durchaus kritische Bestandsaufnahme dieser „bunten und kraftvollen“ Lokalrundfunklandschaft in Bayern, von der es bisher kaum öffentlich zugängliche Archivaufnahmen gebe. „Lokaler und regionaler Rundfunk sind auch Kulturträger im lokalen Bereich“, betonte Behmer. Für eine Vorstudie am Standort München hat seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Vera Katzenberger u.a. einen Leitfaden für Zeitzeugeninterviews entwickelt, die im Dokumentationsteil der Studie 2020 veröffentlicht werden sollen.
Einige dieser Zeitzeugen gaben in zwei Podiumsrunden sehr persönliche Einblicke in die Anfangszeiten des dualen Rundfunksystems, das im Freistaat auf Basis des Artikels 111a in der Bayerischen Verfassung anders als in den restlichen Bundesländern gestaltet wurde. Es habe jedoch eine ebenso heftige gesellschaftliche Debatte ausgelöst, erinnerte sich der ehemalige Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber. Die CSU hätte damals nicht den öffentlich-rechtlichen BR als Feindbild gehabt, aber die Konkurrenz durch private Sender gewollt. Über den Artikel 111a in der Verfassung könne die Medienpolitik im Rückblick mehr als froh sein, ergänzte Klaus Warnecke, ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter und Medienrat, denn auf diese Weise hätten Landeszentrale und Politik die Entwicklung steuern können.
Als junger Staatssekretär hat Stoiber gemeinsam mit dem ehemaligen BLM-Präsidenten Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, damals noch Rundfunkreferent in der Bayerischen Staatskanzlei, die medienrechtlichen Grundlagen für Finanzierung und Realisierung der lokalen Vielfalt geschaffen. Und, wie Ring betonte, den Begriff des Medienrates analog zum Rundfunkrat „erfunden“. Zu den Grundlagen gehörte laut Ring das MEG (Medienerprobungs- und Entwicklungsgesetz), das die notwendigen Freiräume verschafft habe. Blieb nur noch das Problem der Frequenzsuche, das Helmut Haunreiter lösen sollte. Der ehemalige BLM-Bereichsleiter Frequenztechnik übernahm die Planungsverfahren und Frequenzabstimmung – ein schwieriger Job, denn damals, so Haunreiter, „wollte jeder Landkreis, am liebsten noch jeder Bürgermeister“ seinen eigenen Sender haben.
Aufgrund des Frequenzmangels in der Anfangszeit hätten Sender und Gesellschafter viel „Lehrgeld“ bezahlen müssen, betonte Medienunternehmer Gunther Oschmann, der sich generell bescheiden gab, was seinen Anteil am Aufbau der lokalen Rundfunklandschaft in Bayern: „Man braucht viel Glück dabei. Und das liegt nicht auf Seiten des Kapitals, sondern auf Seiten der Beziehungen. Es ist eine Geschichte geworden, an deren Ende ich nie geglaubt habe.“
Lehrgeld zu bezahlen, heißt im Startup-Deutsch heute, Scheitern gehöre dazu. Dieses Startup-Gefühl vermittelten in der zweiten Podiumsrunde alle Gründer und Programm-Macher, denen Moderatorin Inge Seibel-Müller amüsante Erinnerungen entlockte. So hatte Maria-Theresia von Seidlein den Radiosender M1 für den damaligen Preis einer Zwei-Zimmer-Wohnung in München gekauft. Und die gelernte Lokalzeitungsredakteurin Elke Schneiderbanger, die bei der Moderatorin auf Radio Charivari Nürnberg zunächst etwas Probleme mit ihrem fränkischen „T“ und „P“ hatte, befand: „Der Privatfunk war ein Glück für uns Frauen. Immer, wenn etwas nicht richtig begehrt ist, kommen die Frauen zum Zug.“
Nachrichten, Moderation, Werbespots schreiben: Die Programmmacher mussten in dieser „wahnsinnig spannenden Zeit“ (Helmut Markwort) alles übernehmen. „Wir haben einfach angefangen, ohne was zu wissen. Begeisterung war die halbe Miete“, erklärte Markwort, der das Münchner Radio Gong 96.3 und Antenne Bayern mit gründete. „Wir waren trotz aller Anfangsfehler ein riesiger Talentschuppen“, so Markwort, der in dieser Einschätzung auch von Fred Kogel bestätigt wurde. Kogel wechselte vom BR zu Radio 44. Die Redaktionen hätten sich aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgsdrucks behaupten müssen. „Es war ein Hauen und Stechen. Jeder hat jeden bekämpft.“ Dafür hätten die Privatfunker „alle Freiheiten der Welt“ genossen, so dass Radio „mehr persönlichkeitsgetrieben“ und „weniger formatiert als heute“ gestaltet worden wäre.
Und wie sah die Situation im Lokalfernsehen aus? Franz-Georg Strauß wollte damals eigentlich Volkswirtschaft studieren, ließ sich dann aber vom „Startup-Gedanken“ faszinieren und gründete den Münchner Lokalsender TV Weiß-Blau. Mit Blick auf die Digitalisierung, die zwar Kostenersparnis, aber auch mehr Konkurrenz durch die Vielzahl von Sendern bedeute, lobte Strauß die Lokalfernsehmacher: „Heute in diesem Kostenrahmen dieses Programm zu stemmen, davor ziehe ich wirklich den Hut.“
Einer, der so ein Programm seit 1987 stemmt, ist der Geschäftsführer von Regionalfernsehen Rosenheim, Norbert Haimerl. Die Fernsehproduktion habe sich in dieser Zeit grundlegend geändert. Aus den Drei-Mann-Kamerateams („zwei für’s Schleppen, einer für’s Mikro“) wären einzelne Videoreporter/innen geworden, die teilweise sogar mit dem Smartphone drehen. Doch die Herausforderung, Fernseh-journalismus in die lokale Medienlandschaft zu tragen, sei die gleiche geblieben, gab Haimerl zu bedenken. Nicht, ohne elegant die Verbindung zum Forschungsprojekt zu ziehen: „Das Größte in diesem Geschäft ist ein funktionierendes Archiv. Wir haben seit fast 35 Jahren bewegte Bilder, die Geschichten erzählen.“
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