Keynote des BLM-Präsidenten und TKLM-Vorsitzenden Siegfried Schneider auf dem Digitalradiotag in Berlin am 9. September 2019
Sehr geehrte Damen und Herren,
auch von meiner Seite aus herzlich willkommen zum Digitalradiotag 2019! Wie digital das Radio mittlerweile ist, dokumentieren die neuen Ergebnisse aus dem Digitalisierungsbericht Audio 2019 eindrücklich. Herr Dr. Ecke wird sie uns gleich vorstellen. Um dem nichts vorwegnehmen, verrate ich vorab keine Zahlen. Von meiner Seite aus dazu nur so viel: Die Frage nach der am häufigsten genutzten Empfangsart erlaubt selbstverständlich keinen Rückschluss auf die tatsächlichen Reichweiten. Fest steht aber: Während UKW als meistgenutzte Empfangsmöglichkeit stagniert, steigen die Zahlen für DAB+ oder Webradio.
Zwar ist die terrestrische Hörfunknutzung über UKW nach wie vor das ökonomische Rückgrat der Gattung Hörfunk. Doch auch der private Hörfunk muss sich in den kommenden Jahren Herausforderungen wie der zunehmenden Digitalisierung und Änderungen im Mediennutzungsverhalten stellen, um als Massenmedium relevant zu bleiben.
Schließlich muss man kein Prophet sein, um vorherzusagen: Die in allen aktuellen Studien beschriebene Nutzungszunahme digitaler Angebote wird sich nicht nur fortsetzen, sie wird sich potenzieren: Gerade die jüngeren Zielgruppen sind always on, aber auch immer mehr Ältere entdecken die digitalen Audiowelten für sich. Aktuell erreicht Radio zwar auch noch die Generationen Y und Z. Aber: Die Sender müssen alles tun, um sie nachhaltig zu binden. Das Alte funktioniert – noch. Neues muss dazu kommen.
Gefragt ist also die Verbreitung von Rundfunkprogrammen über alle Kanäle – über UKW, DAB+ und IP. Darüber hinaus müssen die Sender Special Interests der Nutzer über Webchannels ansprechen, Smartspeaker für zusätzliche Reichweite nutzen und Podcasts anbieten.
Denn die Konkurrenz schläft nicht. So sind Online-Audio-Angebote, allen voran globale Musikstreaming-Player wie Spotify, Apple Music und Co., über deren Nutzung wir heute Nachmittag mehr erfahren, bereits ein wesentlicher Baustein der digitalen Audiolandschaft und essentiell für die strategische Ausrichtung der Hörfunkveranstalter. Deshalb wird die Diversifizierung der Hörfunkausspielwege weiter zunehmen. Hörfunkangebote werden für unterschiedliche Plattformen aufbereitet, mit Aggregatoren verlinkt und über eigene Apps verbreitet. Das klassische Geschäftsmodell einer Refinanzierung durch die Werbevermarktung ausschließlich linear verbreiteter Programme wird dadurch ergänzt und in Zukunft nicht einfacher werden.
Nichtsdestotrotz steht fest: Die Terrestrik ist heute der Hauptverbreitungsweg für den Hörfunk und wird es auch noch lange bleiben. Sie ist die ökonomische und technische Basis der Anbieter und damit unverzichtbar.
DAB+ ermöglicht die Fortsetzung des klassischen Geschäftsmodells einer linearen Programmverbreitung und Werbevermarktung von privatem Hörfunk in Deutschland – und kann durch die Regulierung gestaltet werden. Dazu gehört, dass die Frequenzen dauerhaft gesichert bleiben und eine lokale und regionale Versorgung grundsätzlich abgebildet werden kann.
Der Blick nach Bayern zeigt, dass es funktioniert. Dort gestaltet die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) – mit Unterstützung des Freistaats – seit Mitte 2017 Betrieb und Nutzung der DAB-Netze in Bayern neu. Basis dieser Aktivitäten ist eine Infrastrukturvereinbarung zwischen dem Bayerischen Rundfunk (BR) und der Landeszentrale. Mit der Simulcast-Verbreitung der ersten lokalen Sender im Voralpenland sind wir seit Anfang Juli auf der Zielgeraden. Ab 2020 werden bayerische Radiohörerinnen und -hörer alle aktuellen lokalen privaten UKW-Angebote auch via DAB+ hören können.
Die Überlegung hinter dieser Kooperation: Es gibt eine völlig unterschiedliche Ausgangslage für die beiden Seiten des dualen Systems.
Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hat den öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten 89,4 Millionen Euro und Deutschlandradio 63,6 Millionen Euro für die Entwicklung von DAB+ in der laufenden Beitragsperiode zwischen 2017 und 2020 zur Verfügung gestellt.
Die privaten Anbieter dagegen müssen die Kosten für eine unbestimmt lange Simulcastphase aus ihren Werbeeinnahmen finanzieren. Das ist für landesweite Anbieter noch eher machbar als für lokale und regionale Hörfunkanbieter. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei der Markteinführung unterstützt wird, muss man auch die lokalen Anbieter in einer angemessenen Weise fördern, um faire Ausgangsbedingungen sicher zu stellen.
Die Medienpolitik sollte die Digitalisierung des Hörfunks insgesamt fördern, nicht verhindern oder gar in die Vielfalt der Verbreitungswege eingreifen.
Auch wenn sich der niedersächsische Landtag im Juni medienwirksam gegen die Förderung von DAB+ ausgesprochen hat, wird der Verkauf von DAB+-fähigen Radios nicht an den Grenzen von Niedersachsen Halt machen. Selbst in Niedersachsen wird DAB+ weiter über das bundesweite Netz und das Netz des NDR laufen.
Die privaten Hörfunkveranstalter in Niedersachsen werden sich also – wenn nicht heute, dann aber spätestens morgen – die Frage stellen müssen, ob sie wirklich auf die DAB+-Reichweite in Niedersachsen verzichten wollen und können.
Die digitale Audiolandschaft der Zukunft sollte auf eine hybride Strategie von terrestrischem Digitalradio und Online-Audio setzen. Wer nicht beide digitalen Ausspielwege nutzt, wird Hörer, Marktanteile und damit Erlöse verlieren. Das kann sich eigentlich kein privatwirtschaftlich finanzierter Sender erlauben.
Auf wieviel man tatsächlich verzichtet, belegen die aktuellen Ergebnisse des Digitalisierungsberichts:
DAB+ nimmt Fahrt auf. Immer mehr Menschen haben Zugang zu einem DAB+-Radio. Gepusht wird der Anstieg auch durch eine überdurchschnittliche Zunahme von DAB+-Radios im Auto. Dieser Trend wird, da bin ich sicher, in den kommenden Jahren – nach dem Beschluss des Bundeskabinetts zur DAB+-Pflicht für Radios von Ende Juli – im kommenden Jahr noch sehr viel sichtbarer...
Auch Radiohören über das Internet wächst laut Digitalisierungsbericht deutlich.
Kein Wunder, dass eine 2018 von der Medienanstalt in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Goldmedia-Studie zur Zukunft des Audiomarktes prognostiziert:
[Zitat] „In den nächsten Jahren wird der Konkurrenzdruck auf den klassischen UKW-Hörfunk erheblich steigen. Die Bedeutung von UKW wird durch digitale Verbreitungswege und neue Wettbewerber zwangsläufig abnehmen.“ [Zitat Ende]
Goldmedia erwartet, dass der Anteil von UKW an der Hörfunknutzung in den kommenden fünf Jahren um bis zu 30 Prozent sinken könnte…
Zahlen, die deutlich machen: Mit UKW alleine lässt sich künftig nicht mehr überleben. Zwar ist DAB+ kein Allheilmittel. Aber UKW lässt sich auch nicht retten, indem man auf DAB+ verzichtet.
Hörfunk via Internet und DAB+ werden in der Debatte um die Zukunft des Hörfunks in Deutschland vielfach als feindliche Brüder dargestellt. Sie sind es nicht. Hybride Strategien von Medienunternehmen sprechen für die Notwendigkeit einer friedlichen digitalen Hörfunk-Koexistenz.
Zumal sich die Vorteile von terrestrischem Digitalradio und Online-Audio für Hörer und Anbieter optimal ergänzen:
Das Digitalradio DAB+ gestattet die Fortsetzung des klassischen Geschäftsmodells einer linearen Programmverbreitung und Werbevermarktung von privatem Radio in Deutschland. DAB+ ist zudem deutlich kostengünstiger für die Anbieter als UKW und Internetradio. Für die Hörer bietet es im Vergleich zu UKW eine größere Programmvielfalt, die allerdings nicht annähernd an die Vielfalt des Internets heranreicht. Die Rückkanalfähigkeit des Internets ist bei DAB+ nicht gegeben. Dafür ist DAB+ im Gegensatz zu Webradio für die Nutzer kostenlos – und es werden keine Daten mitgeliefert. Außerdem ist es problemlos mobil, ohne vertragliche Bindung „barrierefrei“ für den Nutzerinnen und Nutzer zu empfangen. DAB+ ist also für Anbieter und Hörer deutlich wirtschaftlicher. Das liegt auch an der längeren Wertschöpfungskette im Internet.
Und noch ein weiteres Leistungsmerkmal von DAB+ war ausschlaggebend dafür, dass der Freistaat Bayern frühzeitig auf das terrestrische Digitalradio gesetzt hat: Mit DAB+ ist ein Rundfunksystem auf dem Markt, das auch im Katastrophenfall eine gesicherte Information der Bevölkerung ermöglicht. Rundfunksysteme wie UKW und DAB+ sind stör- und ausfallsicher, sie gewährleisten die notwendige Grundversorgung – ganz im Gegensatz zum Internet und den Mobilfunk-Netzen.
Online-Audio dagegen ermöglicht die Entwicklung differenzierter Vermarktungs-Strategien. Man sollte dabei aber im Kopf haben: Die Verbreitung von Hörfunk über Internet basiert auf einem disruptiven Geschäftsmodell. Ob im Internet die für Hörfunk notwendigen Erlöse erzielt werden können, um auch lokale und regionale Anbieter zu erhalten, ist ungewiss. Nicht ohne Grund gilt „The winner takes it all“ als Faustregel für das Internet. Für eine ökonomische Strategie der Hörfunkunternehmen ist daher von zentraler Bedeutung, inwieweit Hörfunkangebote aus Deutschland gegenüber den internationalen Plattform-Giganten bestehen können.
Anders als die Entwicklung von DAB+ läuft die IP-Entwicklung des Hörfunks weitgehend ungestaltet, ungesteuert und unbeeinflusst von den Rundfunkbedarfsträgern ab. Auch im Bereich Online-Audio braucht es Regulierung im Bereich der Plattformen und Smart Speaker, um ohne Behinderung am Wettbewerb teilnehmen zu können. Diesen Bedarf haben die Medienanstalten auch im Rahmen zweiten Konsultation zum Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags im Sommer 2019 nochmals deutlich kommuniziert. Schließlich ist es eine wesentliche Zukunftsaufgabe der Medienanstalten, auf digitalen Aggregationsplattformen aller Art chancengleiche und diskriminierungsfreie Auffindbarkeit auch und gerade der lizenzierten Sender zu gewährleisten.
Tatsachen, die auch bei den Anbietern ankommen – in Bayern und anderswo. Beim Call for Interest in Nordrhein-Westfalen meldeten vergangenen Herbst 47 Veranstalter Interesse an DAB+-Kapazitäten an. Der Blick nach Europa – sei es nach Norwegen, Großbritannien, Frankreich oder in die Schweiz – illustriert ebenfalls das große Potenzial für DAB+.
Von entscheidender Bedeutung für eine gute Zukunft sind darüber hinaus die Vermarktungsmöglichkeiten von terrestrischem Digitalradio. Mit der Reichweitenmessung durch die agma und die Ausweisung von DAB+-Programmen in der ma Audio werden die Voraussetzungen für die überregionale und bundesweite Vermarktung durch RMS und AS&S gerade geschaffen. Notwendig ist hier eine Öffnung des „walled garden“. Ohne Vermarktung ist mehr Vielfalt im Hörfunkmarkt schlicht nicht zu finanzieren.
Klar ist bei all dem: Auf nur ein Pferd zu setzen, ist zu riskant. Radioanbieter müssen heute alle Wege nutzen, um zu den Hörerinnen und Hörern zu gelangen – also ihr Programm über UKW, über IP-Streaming und Internet-Plattformen und eben über DAB+ verfügbar machen. Wie es weiter geht, ob und wann dieser „Trimulcast“ zu einem digitalen „Simulcast“ wird, entscheidet am Ende der Markt. Über Abschalttermine zu spekulieren, ist dabei eher kontraproduktiv.
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass sich die positive Entwicklung von DAB+ nicht nur in Bayern, sondern auch in Deutschland und Europa fortsetzen wird. Damit trägt das terrestrische Digitalradio in den kommenden Jahren dazu bei, dass Radio auch in einer konvergenten Medienwelt einen festen Platz im Herzen der Menschen behält.