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Grußwort von Prof. Dr. Ring zum BLM-Forum "Neues Fernsehen. Fernsehen der Zukunft" am 26.04.2007
26.04.2007 | P&R
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, Sie alle hier in der BLM zu unserer Forums-Veranstaltung „Die Zukunft des Fernsehens“ begrüßen zu dürfen. Es handelt sich dabei offensichtlich um ein Thema, das viele in der Branche umtreibt, wie der gute Besuch eindrücklich belegt. Dabei ist das Thema wahrlich nicht neu. Es wird in schöner Regelmäßigkeit aufgegriffen, seit ich in diesem Geschäft tätig bin. Es gibt allerdings gute Gründe, sich aktuell damit zu beschäftigen: Eine Reihe von Entwicklungen in den letzten Monaten deuten darauf hin, dass sich der Fernsehmarkt tatsächlich verändern wird. Dazu gehört die zunehmende Digitalisierung der klassischen Übertragungswege, die wachsende Zahl der Breitbandanschlüsse, die vielfachen Aktivitäten der Netzbetreiber, die sprunghaft steigende Anzahl von IPTV-Anbietern, der Hype um Video-Plattformen im Internet mit user-generated-content und dessen Nachfrage vor allem bei jugendlichen Nutzern, Diskussionen um Grundverschlüsselung und Mobile Broadcasting und natürlich die Reaktionen der etablierten Fernsehprogrammanbieter auf diese Entwicklungen.
Was sind die Fakten? Z.B., dass die Bundesrepublik inzwischen immerhin prozentual in Europa im Mittelfeld angekommen ist, was die Digitalisierung der Verbreitungswege Kabel, Satellit und Terrestrik angeht. Etwa ein Drittel der ca. 34 Mio. Fernsehhaushalte in Deutschland können inzwischen digitales Fernsehen empfangen. Marktführer in absoluten Zahlen ist dabei eindeutig der Satellit, mit einem Anteil von annähernd zwei Drittel aller digitalen Fernsehhaushalte vor Kabel und Terrestrik. Ebenfalls deutlich zugenommen haben die Breitbandanschlüsse.
Mittlerweile verfügen fast 40 Prozent der bundesdeutschen Haushalte über einen Breitbandanschluss, der eine Basisvoraussetzung ist für den Empfang von IPTV. Von den etwa 15 Mio. Anschlüssen kommen deutlich unter fünf Prozent von den Kabelnetzbetreibern. Die ganz überwiegende Mehrheit sind mehr oder weniger schnelle DSL-Anschlüsse der Telekommunikationsunternehmen.
Lassen Sie uns einen Blick auf den Status Quo im Pay-TV-Markt in Deutschland werfen: Derzeit sind ca. 5 Mio. Haushalte in Deutschland Abonnenten von Pay-TV-Angeboten. Etwa zwei Drittel davon sind Premiere-Kunden, die fast ausschließlich über die Verbreitungswege Kabel und Satellit bedient werden. Knapp 1,3 Mio. Kunden eigener Pay-TV-Pakete geben derzeit die Kabelnetzbetreiber an. Von den Telekommunikationsunternehmen sind mit T-Com/T-Home und Hansanet/Alice HomeTV zwei Anbieter vor allem über DSL in diesem Marktsegment präsent mit zusammen ca. 35.000 Abonnenten.
Beide bieten neben Pay-TV einschließlich Video-on-Demand auch fast alle herkömmlichen deutschen Free-TV-Kanäle. Die beiden großen TV-Familien bieten - wenn auch derzeit noch in geringem Umfang - eigene Pay-TV-Programme an über die Verbreitungswege Kabel, Satellit und DSL sowie Video-on-Demand-Angebote: „Maxdome“ von ProSiebenSat.1 und „RTLnow!“ von RTL. Deren aktuelle Abonnentenzahlen sind nicht bekannt. Für alle von mir genannten Angebote ist mit Ausnahme von RTLnow! eine eigene Set-Top-Box nötig. Beim RTL-Angebot besteht allerdings die Einschränkung, dass es nur auf den PC-Monitor übertragen wird.
Damit ist die neue Angebotsvielfalt unserer Fernsehgegenwart aber noch nicht abschließend beschrieben. Es gibt mittlerweile eine Reihe weiterer IPTV-Anbieter bzw. IPTV-Plattformen, über die dutzende Programme ausgestrahlt werden, wie Grid-TV oder TV1. Welche Rolle sie in Zukunft spielen können, ist ein Aspekt dieser Veranstaltung.
Wenn man nun das große Free-TV-Angebot der öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter einbezieht und die aktuellen Marktanteile im Kopf hat, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die Fernsehwelt in Deutschland derzeit nach wie vor – wie in den letzten 20 Jahren – von ARD, ZDF, den beiden großen privaten TV-Familien und im Pay-TV-Segment von Premiere bestimmt wird. Trotzdem gehen viele Prognosen davon aus, dass die Zukunft des Fernsehens aus dem Internet kommt. Bereits jetzt soll es nach Angaben des Portals „Global Internet TV“ knapp 7.000 Sender weltweit geben, die über IPTV ausgestrahlt werden. In Deutschland waren es in der vergangenen Woche 481 Angebote, vom Abgeordnetenhaus Berlin bis zu „Zoomin TV Germany“, einschließlich ARD, ZDF, RTL usw. Laut dem Marktforschungsunternehmen „Screen Digest“ gibt es derzeit in Europa knapp drei Mio. IPTV-Abonnenten, die Zahl soll sich bis Ende des Jahres verdoppeln. In Deutschland sollen es bis dahin laut Goldmedia etwa 300.000 sein.
Von den knapp 500 deutschen IPTV-Angeboten sind etwa die Hälfte konventionelle Fernsehsender, für die IPTV schlicht ein zusätzlicher Verbreitungsweg ist. Der Rest ist eine bunte Mischung aus Campus-Fernsehen, Firmen-TV, Tourismus, Ratgeber, Schulungsfernsehen usw. bis zu Kanälen über Randsportarten. Angesichts der Qualität und/oder des Nischencharakters der allermeisten dieser Angebote, ist allerdings die Frage mehr als berechtigt, ob das tatsächlich die Zukunft des Fernsehens ist? Und eine weitere Frage drängt sich auf: Wie wird damit eigentlich Geld verdient?
Vielleicht liegt die Zukunft des Fernsehens dann doch eher bei Plattformen wie „Joost“ (sprich „schuust“) und „Babelgum“, die, so die Eigenwerbung von „Joost“, „das Beste der zwei Welten Fernsehen und Internet verbinden wollen“. Im Gegensatz zu YouTube, MyVideo oder MySpace wird Joost keinen user-generated-content zur Ausstrahlung bringen, sondern z.B. lineares Fernsehen.
Darüber hinaus werden Filme, Serien, Dokumentationen, generell professionelle Inhalte abrufbar sein. Man wird über Suchfunktionen nach bestimmten Inhalten recherchieren und diese sofort ansehen können. Man wird Sendungen jederzeit anhalten, vor- und zurückspulen können usw. Das Ganze soll über personalisierte Werbung finanziert werden und in diesem Sommer starten. Interessant ist, dass auch YouTube immer mehr professionelle Inhalte aufnimmt. Es werden zunehmend Verträge mit Medienproduzenten geschlossen, seien es große Unternehmen, wie vor knapp zwei Monaten die BBC , Film-, Fernseh-, Musikproduktionsunternehmen oder Fußballclubs wie Chelsea. Von den deutschsprachigen Sendern hat gerade die Deutsche Welle als erster einen entsprechenden Vertrag mit YouTube geschlossen. YouTube kommt mit dem Abschluss entsprechender Verträge zu professionellen Inhalten – und entgeht damit zumindest teilweise schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich der Verletzung von Urheberrechten.
Aber wollen die Jugendlichen nicht ganz andere Inhalte konsumieren? Sind sie nicht längst dem Fernsehen ihrer Eltern entfremdet? Vieles spricht dafür – aber einiges auch dagegen. Dafür spricht z.B., dass die Videoabrufe bei YouTube in einem Jahr um über 700 Prozent zugenommen haben; dass man bei MyVideo oder Clipfish monatliche Wachstumsraten zwischen 10 und 40 Prozent meldet; dass die derzeit angesagteste lokale Community-Plattform „www.dielokalisten.de“ allein im Großraum München 450.000 Mitglieder hat, in der Regel Jugendliche und junge Erwachsene; dass es für viele in dieser Altersgruppe eine Selbstverständlichkeit ist, selbst gedrehte Videos anzuschauen, an Freunde zu verschicken und sogar selbst zu „produzieren“, häufig mit dem Handy; dass in der Mediennutzungsdauer bei den 14- bis 19-jährigen das Internet fast schon Fernsehen und Radio erreicht hat, mit 101 Minuten zu jeweils 108 Minuten täglich. (Quelle: ARD und ZDF Onlinestudie 2006).
So eindeutig diese Belege für eine weit reichende Veränderung des Mediennutzungsverhaltens von Jugendlichen sind, es gibt auch Argumente für eine andere Sichtweise: Nach wie vor ist das Fernsehen vor dem Internet das beliebteste Medium auch bei Jugendlichen; der TV-Konsum dieser Altersgruppe hat sich trotz Internet seit 1995 nicht verringert, das Internet kam als Allround Medium schlicht hinzu; Soaps, Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Germany`s Next Top Model“ oder „Die Simpsons“ erreichen in dieser Zielgruppe immer noch traumhafte Marktanteile von bis zu 50 Prozent. Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass die heute 13- bis 14-Jährigen mit beidem sozialisiert sind: dem herkömmlichen Fernsehen und dem Internet. Allerdings ist auch festzustellen, dass die TV-Nutzung der 6- bis 13-jährigen Kinder gemäß den GfK-Daten seit 1996 kontinuierlich sinkt und sich um rund 10 Prozent reduziert hat. –
Aber was ist mit den sog. „Early Adoptern“, „digitalen Trendsettern“ oder „fortschrittlichen Nutzern“, denjenigen also, die gegenüber neue Entwicklungen besonders offen sind und technisch immer auf dem neuesten Stand. Sie machen fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung aus, sind überproportional jüngere Männer mit gehobenem Einkommen. Ihre Internetnutzung ist zwar mehr als viermal höher als beim Durchschnitt der Bevölkerung, noch mehr als das Internet nutzen aber auch sie die guten alten Fernsehprogramme. (Glos, BILD). Dabei ist ihre Fernsehnutzungsdauer identisch mit dem Durchschnitt der Bevölkerung.
Entwarnung also für die Fernsehsender? Alles halb so schlimm, was an Konkurrenz aus dem Internet kommt? Mein Eindruck ist, dass die Branchengrößen mittlerweile gegen die neue Konkurrenz gut gerüstet sind. Die beiden großen Familien haben mit „Clipfish“ und „MyVideo“ eigene Videoplattformen bzw. sind daran beteiligt.
Die crossmediale Verknüpfung von Internet-Plattformen und Fernsehen wird permanent intensiviert. Sie verfügen mit „Maxdome“ und „RTLnow!“ über eigene Pay- und Video-on Demand-Angebote. Sie haben erkannt wie wichtig Gaming-Portale sind, die zu den Senderfamilien gehören. Nahe liegend ist, dass sie eigene Inhalte auch über neutrale Plattformen wie Joost oder YouTube anbieten. Die BBC liefert nicht nur in diesem Zusammenhang gute Beispiele. Ebenso dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis ProSiebenSat.1 und RTL Teile ihrer Programminhalte zum Abruf bereitstellen und damit eine „zeitsouveräne“ Nutzung ermöglichen. Und schließlich ist selbst die häufig zitierte Community-Plattform „Die Lokalisten“ nicht einfach nur Konkurrenz: ProSiebenSat.1 ist mit 30 Prozent daran beteiligt. Man muss kein Prophet sein, um in diesen Bereichen weitere Beteiligungen vorherzusagen. Prinzipiell ist ein wichtiger Teil der Strategie die Verlängerung der Marke in die virtuelle Welt.
Im Zuge dieser Aktivitäten wird man neue Werbeformen anbieten und die Möglichkeiten der Verschlüsselung nutzen, die auf allen Übertragungswegen kommen wird.
Keinesfalls unterschätzen sollte man auch die Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in diesem Bereich. Ich fand es schon sehr erstaunlich, dass bereits vor einem knappen Monat im Rahmen der vom ZDF veranstalteten „Mainzer Tage der Fernseh-Kritik“ mit Kurt Beck und Günther Oettinger zwei Ministerpräsidenten und ausgewiesene Medienpolitiker dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Freibrief für zahlreiche neue digitale Projekte gegeben haben: Ausstrahlung des öffentlich-rechtlichen Angebots über alle Übertragungswege und auf alle Endgeräte; keine Deckelung mehr der Aufwendungen für den Online-Bereich; selbst die Streichung der Auflage, dass das Online-Angebot programmbegleitend sein muss, ist anscheinend im Gespräch.
Die Öffentlich-Rechtlichen sollen neue digitale Spartenkanäle gründen dürfen, deren Anzahl offenbar nicht begrenzt werden soll. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in diesem Zusammenhang in absehbarer Zeit die Gründung eines TV-Kanals für Jugendliche erleben werden, der crossmedial vernetzt sein wird. Ebenso soll die Einführung von Abrufdiensten gegen Entgelt möglich werden. Dazu kommt, das ZDF hat das bereits angekündigt, dass weite Teile des linearen Programms über einen bestimmten Zeitraum jederzeit abgerufen werden können. Nachdem nun die Antwort der EU vorliegt, darf man gespannt sein, wie deren Anforderungen umgesetzt werden. Dabei geht es vor allem um die präzise Festlegung des Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen Kontrolle. Öffentliche Äußerungen wie die vom derzeitigen Vorsitzenden der ARD, Fritz Raff, zeigen hier eine Erwartungshaltung, die ich nicht nachvollziehen kann.
Lassen Sie mich abschließend und schlagwortartig noch einen kurzen Blick auf die medienpolitischen bzw. medienrechtlichen Aspekte des heutigen Themas werfen:
- Verschlüsselung ist aus meiner Sicht medienrechtlich unproblematisch. Allerdings darf es keine Zwangsverschlüsselung geben und die Bedingungen müssen transparent sein.
- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einem präzisierten Funktionsauftrag ist Teil des dualen Systems. Neue Entwicklungen müssen ihm offen stehen. D.h. aber definitiv nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei neuen Übertragungswegen den Anspruch erheben kann, ihm stünden 50 Prozent der Kapazitäten zur Verfügung. Hier muss Rücksicht auf die Interessen neuer Marktteilnehmer genommen werden.
- Eine zentrale Stellung im Bezug auf alle Verbreitungswege kommt den EPGs zu.
- Die Länder haben sich vorgenommen eine Plattformregulierung auf den Weg zu bringen. Man ist da am Anfang der Diskussion. Eine solche Regulierung muss zum Ziel haben, dass die verfassungs- und medienrechtlichen Vorgaben zur Vielfalts-sicherung umgesetzt werden.
- Entscheidend dafür ob Inhalte unter den Begriff des Rundfunks fallen und damit einer entsprechenden Regulierung unterliegen, ist ihre Relevanz für die Meinungsbildung, nicht der Übertragungsweg und auch nicht die Tatsache, ob der Inhalt abgerufen werden muss oder nicht. D.h. IPTV-Angebote sind ebenso wie Mobile-TV-Angebote in der Regel als Rundfunk einzustufen.
meinen Ausführungen können Sie entnehmen, dass ich nicht der Meinung bin, dass unser Fernsehen in drei bis fünf Jahren ein völlig anderes sein wird als heute. Natürlich wird es Veränderungen geben. Die Rolle von Video-on-Demand und IPTV wird erheblich an Bedeutung gewinnen und wir werden die Möglichkeit haben, uns über interaktive Mediaguides unser persönliches TV-Programm aus dem Internet zusammenstellen zu lassen. Dennoch wage ich die Prognose, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die beiden großen privaten TV-Familien sowie erfolgreiche unabhängige Fernsehanbieter und Premiere auch in fünf Jahren noch den Großteil der TV-Nutzung in Deutschland auf sich vereinigen werden, denn sie haben die finanziellen Mittel, die Erfahrung und die Kreativität.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.