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Grußwort von BLM-Präsident Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring zum BLM-Forum „Programmplanung im digitalen Wettbewerb“ am 23. Oktober 2007
23.10.2007 | P&R
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Sehr geehrter Herr Clobes,
sehr geehrter Herr Jakobs,
sehr geehrte Referenten,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
wer sich aktuell mit den Auswirkungen des Internet auf die klassischen Medien befasst, fühlt sich unweigerlich an jene Diskussionen erinnert, die um die Jahrtausendwende die erste Hochphase des Internet begleiteten. Damals hatten seine technischen Eigenschaften und Möglichkeiten, die Hypertextstruktur, die Archivierungs- und Suchfunktionen insbesondere den Printsektor vor große Herausforderungen gestellt. Allein die Abwanderung der bis dahin in erster Linie der Tagespresse vorbehaltenen Rubrikenanzeigen setzte die Branche gewaltig unter Druck.
Heute, in Zeiten des Web 2.0, ist das Internet der zweiten Generation dabei auch die anderen klassischen Medien einem möglicherweise tief greifenden Wandel zu unterziehen. Durch die rasante Verbreitung leistungsstarker Breitbandanschlüsse ist das Netz im Begriff zur universalen Plattform für multimedialen Content zu werden. Nahezu alle herkömmlichen Medieninhalte sind mittlerweile im World Wide Web zu finden. Für die Fernsehanbieter bedeutet dies, dass nach den Zeitungsverlagen nun auch sie den Regeln eines medial und global entgrenzten Wettbewerbs unterworfen sind. Dass sie sich in der verschärften direkten Konkurrenz nicht nur mit anderen klassischen Medien, sondern auch mit Netzbetreibern, Online-Dienstleistern und sogar aktiven Nutzern messen müssen.
Der Blick auf reichweitenstarke Videoportale wie YouTube und MyVideo, auf ambitionierte IPTV-Ventures wie Joost oder Zattoo und das audiovisuelle Engagement von Telekommunikationsunternehmen wie T-Com und Hansenet lässt die bisherigen Marktgrenzen zusehends verschwimmen. Eines scheint sich dabei jedoch immer klarer herauszukristallisieren: Angesichts der zunehmenden Entkopplung von Inhalt und technischem Verbreitungsweg wird der Erfolg von Fernsehunternehmen in immer stärkerem Maße von ihrer Fähigkeit abhängen, sich auf multimedia- und internetfähigen stationären und mobilen Endgeräten programmlich zu profilieren. Mittelfristig mögen Fragen der herkömmlichen Netzeinspeisung und der Sender-Platzierung in den elektronischen Programm-Führern (EPGs) als besonders drängend erscheinen, langfristig wird es jedoch darauf ankommen, aus einer heterogenen digitalen Angebotsvielfalt hervorzustechen, die weit über die Sendekapazitäten von TV-Kabel oder Satellit hinausgeht und sich auch bei Suchmaschinen á la Google als feste, wieder erkennbare Größen zu etablieren.
Die Anforderungen, die der entgrenzte Medienmarkt an all seine Teilnehmer stellt, und der gestiegene Konkurrenzdruck, den er seinen Akteuren auferlegt, sind zweifelsohne beträchtlich. Und doch verfügen gerade die erfahrenen deutschen TV-Unternehmen über gute Voraussetzungen die anstehenden Herausforderungen zu meistern.
Es ist zum einen eben diese Erfahrung, die den Fernsehmachern gerade in der zunehmend von audiovisuellem Content geprägten Medienwelt einen erheblichen Vorteil verschafft: Ihr inhaltliches Wissen rund um Formate und Programmschemata und das nötige handwerklich-technische Know-how, um diese umzusetzen. Ein Beharrungsvermögen und eine Durchsetzungskraft, die im Laufe von gut zwanzig Jahren des Dualen Rundfunksystems im Zuge einer Free-TV-Konkurrenz erworben wurden, die international ihresgleichen sucht. Und ihr grundsätzliches Gespür fürs Fernsehen, das Fernsehen bleibt, auch wenn es - über das Internet verbreitet - als IPTV offeriert oder on Demand rezipiert wird.
Vor allem aber sind es die starken, in jahrelanger strategischer Arbeit auf- und ausgebauten Unterhaltungsmarken, die sich in Zeiten einer immer weiter anwachsenden digitalen Angebotsüberfülle als das größte Kapital der Medienhäuser erweisen dürften. Unter den allgemein bekannten Dachmarken der Sendergruppen und -familien, wurden Submarken positioniert, die sich mit einem jeweils eigenen Format-Mix an ihre Zielgruppen wenden. Durch das sorgsame Kompilieren, Einbetten und Verknüpfen einer spezifischen Auswahl von Sendungen haben sich die TV-Anbieter mit den Jahren ein fortwährend erneuertes und doch wiedererkennbares charakteristisches Profil zugelegt. So ist nach und nach ein Expertentum in Sachen TV-Produktionen, Dokutainment und Reality-TV, in den Bereichen Sport, Veranstaltungen und Events, Kochen, Comedy oder Crime, Anime und Cartoon entstanden. Wo auch immer seine persönlichen Interessen liegen - der Zuschauer weiß, auf welchen Kanälen die Blockbuster laufen, wo er anderen beim Umziehen, Einrichten, Kinder erziehen oder Kochen über die Schulter schauen kann. Das Publikum kennt den Sender, der unmittelbar am Nürburgring dabei ist und weiß wo die Fußballpartien von Champions League und UEFA Cup laufen. Es hat im Kopf, wo wer im Wok fährt oder den Raab schlägt, wo Mälzer kocht, Komödianten raten und CSI ermittelt.
Dies so klar zu vermitteln, wird sich für die TV-Anbieter auch in einer multimedialen und vernetzten Umwelt auszahlen. Viele Nutzer werden sich beim Surfen und Fernsehen via Internet zuallererst an jene Entertainment-Adressen wenden, die schon in Zeiten des „guten alten Fernsehens“ für seine Unterhaltung sorgten. Gerade unter dem erhöhten Selektionsdruck, den die digitale Vielfalt fordert, unter dem permanenten Ansturm auf seine Aufmerksamkeit, die längst zur knappsten Ressource unserer Informations- und Mediengesellschaft geworden ist, orientiert der Nutzer sich an bekannten Marken. Dies belegen auch aktuelle empirische Befunde.
Auf diesem Kapital aufbauend, wird eines der zentralen Handlungsfelder der Sender darin bestehen, ihre Marken in die interaktive Online-Welt hinein zu verlängern. Virtuelle Oberflächen und Umgebungen zu einzelnen Kanälen, Sendungen und Themenschwerpunkten zu kreieren, Kurz- und Hintergrundinformationen, Trailer und komplette Sendestaffeln, Games und Musik-Downloads für die jeweiligen Fangemeinden zu bündeln. Lineares lean-back Fernsehen und aktiver lean-forward TV-Konsum können so aus einer Hand angeboten werden und sich gegenseitig ergänzen. Während das herkömmliche Fernsehen dabei auch zukünftig vor allem über Werbeeinnahmen finanziert wird, trägt das auf dem Entgeltprinzip beruhende On Demand- und Download-Geschäft zur Diversifizierung der TV-Unternehmen bei.
Wie erfolgreich die Internet-Präsenzen der Sender bereits heute sind, beweist ein Blick auf die beachtliche Zahl der Clicks und Visits, die ihre Seiten mittlerweile verbuchen. ProSieben Online stand im September 2007 auf Rang vier aller von der Interessengemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) erfassten Websites. Lediglich große Internet-Dienstleister und Service-Provider konnten mehr „Besuche“ verzeichnen. Auch RTL.de befindet sich in der Regel unter den Top-Ten dieser Hitliste. Die Durchschlagskraft der Pay-Angebote maxdome und RTLNow! dürfte in erster Linie von der Fähigkeit der Fernsehmacher abhängen, den Mehrwert dieser Portale klar und eindeutig zu kommunizieren und den Zahlungsverkehr so flexibel und unkompliziert wie möglich abzuwickeln.
Die deutschen TV-Anbieter haben sich mit ihren ersten Schritten in die entgrenzte Multimedia-Zukunft in vielversprechende Ausgangspositionen gebracht. Damit sie im verschärften digitalen Wettbewerb bestehen und prosperieren können, bedarf es jedoch auch gewisser Rahmenbedingungen, die jenseits ihrer eigenen Einflusssphäre liegen. Zwei Punkte scheinen in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam. Zum Einen muss sichergestellt sein, dass für das Fernsehen bzw. für Rundfunk vollkommen gleichgültig, ob der Inhalt über Kabel, Satellit, Terrestrik oder DSL zu seinem Publikum kommt, die gleichen rechtlichen Regularien gelten. Grundlagen hierfür sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbegriff. - Zweitens ist zu prüfen, wie weit eine öffentlich-rechtliche Entwicklungsgarantie im digitalen Zeitalter gehen kann, ohne der privaten Konkurrenz Stück für Stück ihre wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Reich bestückte frei verfügbare Download-Archive und Mediatheken mögen die Attraktivität der ARD- und ZDF-Online-Portale enorm steigern, von einer Grundversorgung kann dabei aber wohl kaum noch die Rede sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte meine Ausführungen mit diesen kurzen medienpolitischen Anmerkungen abschließen. Ich freue mich, dass wir Ihnen heute in Kooperation mit dem Grimme-Institut diese Veranstaltung anbieten können. Ich bin sicher, wir werden in den kommenden drei Stunden spannende Referate und eine ebensolche Diskussion erleben.
Herr Clobes, Sie haben nun das Wort.