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Festrede von BLM-Präsident Siegfried Schneider zum 30-jährigen Jubiläum der Akademie für neue Medien am 3. März 2017 in Kulmbach
06.03.2017 | P&R 2017
liebe Studierende und ehemalige Akademie-Absolventen
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr über die Einladung zur 30-Jahr-Feier der Akademie für neue Medien in Kulmbach. Wie gut sich diese oberfränkische Aus- und Fortbildungseinrichtung für professionelle Medienmacher etabliert hat, lässt sich nicht zuletzt an den heute hier anwesenden Gästen ablesen.
Vor 30 Jahren, im Januar 1988, öffnete die Akademie für neue Medien zum ersten Mal ihre Pforten in den historischen Gebäuden des Langheimer Amtshofes – getragen von der Aufbruchsstimmung in den privaten Radio- und Fernsehsendern, die damals dringend qualifiziertes Personal brauchten. Den Begriff „neue Medien“ trägt die Landeszentrale übrigens auch im Namen, ein Zeichen unserer Verbundenheit. Wir gehören seit 30 Jahren neben vielen anderen Unternehmen und namhaften Institutionen zu den Partnern der Akademie. Diese Partnerschaft schätzen wir sehr und setzen sie gerne fort.
Das Ausbildungskonzept der Kulmbacher Akademie hat sich in den letzten 30 Jahren genauso wie die Aufgaben der BLM enorm gewandelt. Denn längst werden journalistische Inhalte nicht mehr nur über Printmedien, Radio und Fernsehen verbreitet, sondern auch über eine Vielzahl weiterer Plattformen und Kanäle im Internet. Gestiegen ist aber nicht nur die Zahl der Verbreitungswege, sondern auch die Anzahl der Inhalte-Produzenten.
Vor zehn Jahren, zum 20-jährigen Jubiläum der Akademie, diskutierte die Branche noch über die Segnungen des Web 2.0 mit „User generated content“ und sozialen Netzwerken, die zur Demokratisierung des Diskurses beitragen können. Das Web 2.0 galt als Forum, in dem nun endlich jeder seine Meinung äußern und Inhalte publizieren durfte und über das sich Journalisten nun endlich mit ihren Nutzern auseinandersetzen konnte.
Mittlerweile müssen wir auch mit den unangenehmen Folgen dieser Demokratisierung zurechtkommen: In Zeiten von Hate Speech und Fake News scheint sich der Diskurs eher polarisiert als demokratisiert zu haben. Damals wie heute bleiben viele Kommentare anonym, was keine gute Grundlage für einen fairen Austausch ist. Außerdem hat sich der Ton der Auseinandersetzungen verschärft und ist mitunter so hasserfüllt, dass mancher nach mehr Regulierung ruft. Was wir in der Diskussion nicht vergessen dürfen: Digitales Verhalten ist genauso wie analoges Verhalten strafbar.
Eines ist jedenfalls sicher: Die Journalisten haben ihre Gatekeeperfunktion verloren, müssen sich auf den Dialog mit ihren Lesern, Hörern und Zuschauern einlassen und neue Formen der Meinungsbeeinflussung berücksichtigen. So hat sich der Einfluss auf die Meinungsbildung über soziale Netzwerke wie Facebook enorm verstärkt. Er entsteht im Wesentlichen durch drei Mechanismen: 1. durch die Filterblase, die entsteht, wenn Algorithmen voraussagen, was der Nutzer finden möchte und dementsprechend nur Inhalte angezeigt werden, die die eigene Meinung stützen; 2. durch die Echokammer, in der die eigene Meinung als Mehrheitsmeinung wahrgenommen wird, weil im „virtuellen“ Freundeskreis Personen mit ähnlichen Ansichten versammelt sind und 3. durch die sinkende Bereitschaft, eine eigene Meinung zu vertreten, wenn sie im Widerspruch zur wahrgenommenen Mehrheitsmeinung steht. Der letzte Mechanismus ist als „Schweigespirale“ bekannt.
Eine derartig eingeschränkte Weltsicht schafft die ideale Voraussetzung dafür, mit automatisierten Nutzerprofilen, so genannten Social Bots, große Meinungsgruppen vorzutäuschen und auf diese Weise einem Thema oder einer Meinung künstlich Relevanz zu verschaffen. Dafür muss ich bestimmt kein professioneller Journalist sein, wie das Beispiel der mazedonischen Jugendlichen zeigt, die durch Fake-News den US-Wahlkampf beeinflusst haben sollen.
Aber, was hat das mit der Zukunft des Journalismus und der Journalistenausbildung zu tun? Ganz einfach: Journalisten müssen diese Mechanismen kennen und verstehen, warum Nutzer Fake News häufig nicht identifizieren können. Ich muss als Journalist heute sicher nicht alles gleichzeitig machen, aber ich muss im Rahmen einer crossmedialen oder trimedialen Ausbildung alles kennengelernt haben einschließlich sinnvoller, neuer technischer Tools, um beurteilen zu können, was mir bei meiner künftigen Arbeit weiterhilft und wie ich am besten meine Leser/Hörer/Zuschauer oder Nutzer erreiche.
Journalismus bedeutet heute längst nicht mehr, nur Inhalte zu recherchieren, diese verständlich aufzubereiten und zu produzieren, um sie dann zu verbreiten, ganz nach dem Motto: der Text, der Radio-, Fernseh- oder Onlinebeitrag wird seine Nutzer schon finden. Digitaljournalismus bietet neue Darstellungsformen und die Chance, über die Auswertung von Daten herauszufinden, was die Nutzer genau möchten und ihnen dann das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen.
Das alles gilt für die Zukunft der überregionalen und bundesweiten Medien genauso wie für den Lokaljournalismus. Ich kann nur an die bayerischen Lokalsender appellieren, die Bereitschaft zu Innovationen zu zeigen und ihren Volontären die Chance zu geben, sich auszuprobieren und neue Wege zu beschreiten. Dazu gehört zum Beispiel auch ein stärkeres Engagement in den sozialen Medien.
Der ehemalige Lokalchefredakteur Paul-Josef Raue hat im Fachdienst Kressreport im Februar 2016 richtig geschrieben: „Der Lokaljournalist der Zukunft muss sich nicht nur souverän in den sozialen Medien bewegen, er muss auch gewichten können? Was greife ich auf und was ist nur dünnes Gesäusel. (…) Das Netz wird zu einer Art Presseagentur, das allerdings nur ungewichtet und unprofessionell arbeitet. Es kommt nicht darauf an, das Internet allein als Technik zu verstehen, sondern die Menschen zu verstehen, die sich im Internet bewegen: Was interessiert sie in ihrer Stadt?“
Ich denke, Raue nennt hier eine zentrale Herausforderung für künftige Lokaljournalisten: Ihre Stärke ist es, lokale Identität zu schaffen – im Dialog und Austausch mit ihren Nutzern. Die Menschen vor Ort müssen sich auf die professionelle Arbeit von Lokaljournalisten in allen Belangen verlassen können. Das betrifft Katastrophenberichterstattung genauso wie den Serviceteil. Gerade im Serviceteil der Lokalberichterstattung lässt sich aber einiges automatisieren, um mehr Zeit für die journalistische Arbeit zu haben.
Die Ängste, dass Robotjournalismus und Automatisierung dazu führen könnten, dass wir irgendwann keine Newsredaktion oder gut ausgebildete Journalisten mehr brauchen, teile ich übrigens nicht. Roboter können standardisierte Aufgaben übernehmen oder z.B. hilfreich bei der Auswertung großer Datenmengen im Rahmen einer investigativen Recherche sein. Um aber zu bewerten, einzuordnen oder in einer echten Konversation die Nähe zum Leser, Hörer oder Zuschauer herzustellen, braucht es immer noch Menschen.
Der Journalist Richard Gutjahr hat während des Digital Media Camp des Media Lab Bayern eine Sessions über Bots gehalten und deren Fähigkeiten auf den Punkt gebracht. Was Bots laut Gutjahr können: Themen setzen und pushen, Stimmungen verstärken, Hypes simulieren, Gegner provozieren und Engagement triggern. Was sie nicht können: vorhandene Meinung ändern, echte Konversation betreiben, improvisieren, glaubwürdig interagieren und verstehen, z.B. Humor.
So schnell sind Journalisten also bestimmt nicht zu ersetzen, sie sollten aber die Welt der Algorithmen sowie neue technologische Entwicklungen und Tools, die ihre Arbeit erleichtern können, kennenlernen und zwar möglichst bereits in der Ausbildung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das Werkzeug für das so wichtige Ausprobieren neuer Wege im Journalismus lernt der Nachwuchs in bayerischen Aus- und Fortbildungsinstitutionen, von denen wir einige unterstützen. Die Akademie für neue Medien in Kulmbach gehört zu denjenigen Journalistenschmieden in Bayern, die den notwendigen Wandel in der Ausbildung erkannt hat.
Deshalb haben Sie sich das Qualitätssiegel des Mediencampus Bayern redlich verdient. Im vergangenen Jahr begründete die Jury die Vergabe des Siegels für weitere drei Jahre folgendermaßen: „Immer noch ist das Kursangebot sehr vielseitig und stark crossmedial geprägt. Neue Seminarangebote greifen den rasanten Wandel im Medienmarkt auf. Die Verantwortlichen der Akademie zeigen, dass sie voll auf der Höhe der Zeit sind.“
Die Aus- und Fortbildung von Lokaljournalisten wird in den nächsten Jahren entscheidend für die Qualität sein und Kulmbach hat mit seinem Angebot Vorbildcharakter. So werden aktuell beispielsweise Seminare zur Suchmaschinenoptimierung, zum Storytelling mit Pageflow oder zum 360 Grad-Journalismus und zur Generation YouTube angeboten. Oberfränkische Medien müssen sich um ihren Nachwuchs also keine Sorgen machen.
Aber die lokalen Medien sollten dem Nachwuchs auch eine professionelle Ausbildung nach festgelegten Standards und ihren Mitarbeitern Fortbildungsmöglichkeiten bieten. Dafür setzt sich die BLM ein. Denn der Medienwandel ist rasant und es bedarf sicherlich einiger Anstrengungen, um neben dem normalen Alltagsgeschäft in der Lokalredaktion noch auf der Höhe der Zeit zu bleiben und Innovationen zu wagen. Für Printmedien, Online-Portale und Sender ist die Investition in die Ausbildung eine wichtige Säule, um die Qualität im Journalismus zu sichern.
Das Aus- und Weiterbildungsangebot in Bayern ist groß, auch die BLM selbst bietet eine Reihe von Blockkursen und Workshops. Das Interesse an der Aus- und Fortbildung im Journalismus seitens der jungen Menschen besteht nach wie vor. Allerdings ist zu beobachten, dass die Medien mit dem Vorwurf des Glaubwürdigkeitsverlustes leben müssen und der Journalistenberuf an Image eingebüßt hat. In dieser Hinsicht müssen alle an einem Strang ziehen: die Ausbildungsinstitutionen, die Medien und deren Mitarbeiter können viel dazu beitragen, damit das Berufsbild des Journalisten wieder an Attraktivität gewinnt, und zwar indem sie auf Professionalisierung setzen. In einer Zeit, in der die „Lügenpresse“ zum Totschlagargument geworden ist und jeder im Internet publizieren kann, ist Qualifikation zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal geworden.
Wenn die Zukunft des Lokaljournalismus mit Professionalität, Lernbereitschaft, Experimentierfreude und Menschlichkeit gestaltet wird, brauchen wir auch keine Angst vor dem „Kollegen“ Roboter zu haben.