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Augsburger Mediengespräche 2004 fragen nach Grenzen des Fernsehens: "Zeichen setzen, handeln und nicht immer nur darüber reden!"

17.09.2004 | 51 2004

Brustpiercing, Schafsaugen essen, den Körper voller Kakerlaken: Ist das das wahre Leben oder ein Fernsehen, das keine Grenzen mehr kennt? Extremshows oder Reality-Formate wie "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus" und "Big Brother" bedienen laut Medienpsychologe Dr. Mario Gmür voyeuristische, ja sogar sadistische Bedürfnisse der Zuschauer, belasten sie aber auch. Wo die Grenzen für ein solches Fernsehen zu setzen sind, darüber stritten bei den vierten Augsburger Mediengesprächen am 16. September 2004 im voll besetzten Rathaussaal Experten aus TV-Sendern, Medienpolitik und Jugendschutz. Auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und der Augsburger Radio- und TV-Sender stellten sich Dr. Mario Gmür, RTL-Generalsekretärin Ingrid M. Haas, RTL2-Unterhaltungschefin Katja Hofem-Best, BLM-Präsident und KJM-Vorsitzender Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring und CSU-Generalsekretär Dr. Markus Söder den Fragen von TV-Moderatorin Astrid Frohloff.

Diese Sendungen seien nicht Ursache, sondern Symptom für eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich unter anderem dadurch auszeichne, dass sich Menschen hemmungslos zur Schau stellten und junge Leute mit Hilfe des Starkults die erfolgreiche Flucht vor ihrer eigenen Durchschnittlichkeit begehen würden, betonte Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert in seinem Grußwort. Über die Konsequenzen aus dieser Entwicklung waren sich die Diskutanten jedoch nicht einig.

Ring und Söder appellierten an die Fernsehunternehmen, endlich Verantwortung für die Folgewirkungen (Werteverlust) zu übernehmen und nicht immer nur die Aufsicht "austricksen" zu wollen. Haas und Hofem-Best betonten, die Sender könnten nicht für Geschmacksfragen verantwortlich gemacht werden. Man müsse genau zwischen Geschmacksfragen und jugendschutzrelevanten Fragen unterscheiden, so Haas. Die Jugendschutzverstöße hätten sich in den letzten Jahren nicht gehäuft. Hofem-Best wehrte sich vor allem gegen den Vorwurf der "Unmoral": "In den Sendern sitzen keine verantwortungslosen Fernsehredakteure!" Es werde schon vor der Ausstrahlung vieles "ausgesiebt".

Söder kritisierte die endlosen wirkungslosen Diskussionen über Reality-Formate und deren Auswüchse: "Richtig schlimme Formate werden doch nur dann abgesetzt, wenn sich kein Zuschauer mehr dafür interessiert", nachdem sich erst die Aufsicht mahnend zu Wort gemeldet und dann der Blätterwald gerauscht hätte. Die langwierigen rechtlichen Verfahren ließen kein schnelles wirkungsvolles Handeln zu, beklagte Söder. Statt immer nur darüber zu reden, müsste jetzt endlich gehandelt werden. Wenn es anders nicht funktioniere, müsste die KJM eben mit effektiveren Mitteln ausgestattet werden. Er wurde unterstützt von Ring, der "Zeichen setzen" will und im Fall der MTV-Schönheits-OP-Reihe (Folge 4-6 von "I want a famous face") vorbehaltlich der Entscheidung der KJM Bußgeld wegen Jugendschutzverstößen ankündigte.

Mit Blick auf Folgewirkungen und die künftige Entwicklung - vor allem im Privatfernsehen - äußerte Gmür, er finde es bedenklich, wenn ein ganzes Volk diese vulgären Sendungen an die erste Stelle seiner Aufmerksamkeit setze. Wenn es nach der Prognose der Sendervertreterinnen geht (Haas: "Auch Provokation gehört zum Image von RTL"), wird sich die Spirale aber noch etwas weiter drehen. Über künftige Formate wie "Sperm Race" wird bereits heftig diskutiert und geschrieben.