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Aufwachsen mit Bilderwelten und Konsequenzen für das pädagogische Handeln - Fachtagung in der BLM verschafft interdisziplinäre Zugäng
08.11.2005 | 59 2005
In einem Punkt waren sich die Referenten und Referentinnen am Ende des Tages einig: Das Herstellen monokausaler Zusammenhänge zwischen Medienkonsum und Medienwirkung ist absolut ungeeignet, um die komplexe Welt der Wahrnehmung visueller Prozesse zu erklären. Vielmehr sollte es eine enge Kooperation zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen und der Praxis (u.a. den Jugendschützern) geben, um populistischen Interpretationen entgegentreten zu können.
In den Grußworten der Veranstalter kam immer wieder zur Sprache, wie stark Bilder wirken können. „Weil Bilder mächtig sind, weil sie mit ungeheurer Wucht auf uns wirken, ist es notwendig, dass die Professionalisierung in der Bildproduktion mit einem ebenso versierten Umgang mit Bildern durch die Rezipienten einhergeht“, mahnte BLM-Präsident Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring. Wie wichtig die Vermittlung entsprechender Medienkompetenz ist, betonte auch Barbara Simon vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das die Veranstaltung gefördert hatte: „Wir können unsere Kinder heutzutage nur mit und nicht gegen die Medien erziehen.“
Wie unterschiedlich die Interpretationen zur Wirkung von Medien und Bildern sind, stellte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung heraus: Deshalb täte es dem Jugendschutz gut, sich verwandte Disziplinen als Gesprächspartner zu suchen, so Krüger. Dies gelte auch für die Medienpädagogik, bestätigte JFF-Vorsitzender Prof. Dr. Bernd Schorb.
Das Verstehen und der kompetente Umgang mit Bilderwelten ist laut JFF-Direktorin Dr. Helga Theunert ein zentrales Element für die Teilnahme an der Gesellschaft. Welche Bedeutung Bilderwelten für Heranwachsende haben können, erläuterte sie am Beispiel von Computerspielen. Virtuelle Spielwelten, so Theunert, böten die Möglichkeit des „Probehandelns“. Während die Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt bei den Medienpädagogen und Entwicklungspsychologen im Mittelpunkt steht, untersuchen die Neurowissenschaftler Wirkungsprozesse mit streng naturwissenschaftlichen Methoden. Sie messen die Gehirnströme im Rahmen simulierter Aktionen. So erklärte Prof. Dr. Klaus Mathiak von der Universitätsklinik in Aachen die Reaktionen von Probanden am Beispiel virtueller Gewalt: Computerspiele verstärkten die Aggression durch Interaktivität, so Mathiak. Mit dem Einsetzen der Aggressivität würden die „affektiven Areale des Menschen herunterreguliert“ und die „kognitiven Areale“ hochgefahren.
Wie sich Fernsehkonsum auf die mentale Entwicklung von Kleinkindern (0-3 Jahre) und Kindern (3-10 Jahre) auswirken kann, fasste die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Lieselotte Ahnert zusammen. Ihre Thesen: 1. Die Bildverarbeitung durch Kleinkinder müsse in reale Beziehungsstrukturen eingebettet werden. Sonst blieben die Wissensstrukturen unscharf. 2. Mit der systematischen Einbeziehung von Medien solle den mentalen Kompetenzen Rechnung getragen werden. Im Alter von 0-3 Jahren wäre ein Bilderbuch dafür aber geeigneter als das Fernsehen. 3. Eine gezielte „Medienerziehung“ müsse allerdings schon früh erfolgen, um Medienkompetenz zu vermitteln.
Prof. Dr. Andreas Krapp wies aus Sicht der pädagogischen Psychologie darauf hin, wie stark die individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse von persönlichen Interessen bestimmt werden. Man solle sich hüten, das Verführungspotenzial von Bilderwelten immer sofort in den Mittelpunkt zu stellen, so Krapp. Die persönlichen Interessen hätten für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben im Jugendalter eine zentrale Bedeutung. So rückten z.B. bei W-LAN-Parties die gewalthaltigen Inhalte häufig in den Hintergrund, weil das Interesse an der sozialen Spielgemeinschaft, der Organisation und der Beherrschung der Technik viel höher sei.
Wie trügerisch die „bunten Bilder“ einer neurowissenschaftlichen Abbildung des Gehirns im Gegensatz zu nüchternen psychologischen Diagrammen sein können, demonstrierte Prof. Dr. Gudula List als Einstimmung auf die Podiumsdiskussion. Die Gehirnforscher würden nur das „Wo“, aber nicht das „Wie“ der Funktionen erklären, warnte sie vor populistischen Thesen.
Dieser These stimmten auch die Diskutanten zu. Doch Thomas Krüger plädierte entschieden für die Einbeziehung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden in die Überlegungen von Jugendschützern und Medienpädagogen. Die Medienpädagogik sei häufig ein „zahnloser Tiger“, so Krüger, und müsse endlich aus ihren Gräben heraus. Dass wissenschaftliche Erkenntnisse gerade im Jugendschutz nur eine begrenzte Rolle spielen könnten, betonte Verena Weigand, Leiterin der Stabsstelle der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Denn letztlich müssten die Jugendschützer eine normative Entscheidung fällen. Allerdings, und darin stimmte ihr Prof. Dr. Gerhard Tulodziecki zu, könnten die Erkenntnisse anderer Disziplinen zur Einordnung von Wahrnehmungsprozessen und Medieneinflüssen sehr hilfreich sein.
Die Aufgabe, Schlussfolgerungen aus der Tagung für die Medienpädagogik zu ziehen, hatte zum Abschluss Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler. Er hob noch einmal hervor, dass Medienpädagogik neben aller analytischen Forschung die Chancen unmittelbarer Erfahrungen und des praktischen Handelns mit Individuen biete.
>> Kontakt: Bettina Pregel, Tel. (089) 63 808-318, bettina.pregel@blm.de