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Wo sind die Grenzen für das Lebenshilfe-TV? 5. Augsburger Mediengespräche sehr gut besucht
18.09.2006 | 40 2006
Diese Frage analysierte Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher anhand von Beispielen in ihrem Einführungsreferat. Das Reality-TV gebe in Formaten wie „Super Nanny“, „Lebe dein Leben“ oder „Du bist, was du isst“ das Versprechen: „Wir können dein Leben ändern!“ Damit erfülle es in Zeiten steigender Unsicherheit den Ratgeber- und Orientierungsbedarf der Zuschauer. Problematisch findet es Bleicher, dass die TV-Coaches vordergründig als Berater auftreten würden, dahinter aber eine Vermittlung zumeist konservativer Werte stünde. So werde z.B. in der „Super Nanny“ Erziehung „auf das Recht des Stärkeren reduziert“. Bleichers Fazit: „Ratgeberkompetenz kann nicht problemlos ans Fernsehen übertragen werden.“
Die fiktionale Grundstruktur der Doku-Soaps erschwert die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität. „Wie kann der Zuschauer die Grenze zwischen Authentischem und Inszenierung erkennen?“, hatte Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert in seinem Grußwort gefragt. Diese Trennung fällt vielen Zuschauern extrem schwer. Der Zuschauer müsse Anhaltspunkte haben, ob ihm gerade ein Märchen oder etwas Wirkliches erzählt werde, kritisierte Prof. Dr. Helga Theunert, Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis: „Ein Großteil der Bevölkerung nimmt diese Sendungen sehr ernst.“ Und genau das sei das Problem. Man könne sie eben nicht einfach in das Reich der Unterhaltung verweisen, wie es zuvor Axel Kühn von der für die „Super Nanny“ verantwortlichen Produktionsfirma Tresor TV getan hatte.
Die mögliche Stigmatisierung der Kinder, die in Doku-Soaps „vorgeführt“ werden, sieht Kühn nicht als Problem. „Wir stellen die Kinder dar und führen sie nicht vor“, konterte er. Außerdem stünden nicht nur beim Dreh, sondern auch lange Zeit nach dem Dreh noch Psychologen für die betroffenen Familien zur Verfügung. Unterstützung bekam er von Detlef D! Soost, Moderator der bereits ausgelaufenen Sendereihe „Lebe Dein Leben“: „Wir wollen den Leuten nur Impulse geben, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen“, betonte der Motivationscoach. Menschen, die straffällig oder psychisch schwer krank wären, würde er als TV-Coach keinesfalls in einer Sendung beraten, beschrieb Soost seine Grenze.
Diese Grenze muss nach Ansicht von Pfarrer Jürgen Fliege viel enger gezogen werden. Die Begründung dafür hatte BLM-Präsident Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring schon in seinem Grußwort angedeutet: „Kinder, die als schwererziehbar oder fettleibig vorgeführt werden, haben auch ein Leben nach ihren Fernsehauftritten, in dem dann möglicherweise sie und nicht ihre Eltern einen Coach brauchen.“ Vor diesem Hintergrund appellierte Fliege an die Fernsehmacher, doch öfter mal nein zu sagen. „Haben wir das Kriterium Scham noch im Köcher?“, fragte der ehemalige Fernsehpfarrer publikumswirksam in die Runde.
Vom Quotendruck können sich weder öffentlich-rechtliche noch private Sender befreien, so ein Fazit von Astrid Frohloff, die die lebhafte Diskussion moderierte. Trotzdem sollte die Verantwortung ernst genommen werden für diejenigen, mit denen man arbeitet, forderte Marita Hübinger, Redaktionsleitung „Wissen & Service“ im ZDF. „Ist Fernsehen die richtige Therapiestube?“, fragte Hübinger abschließend und bekam darauf keine schlüssige Antwort.
>> Kontakt: Bettina Pregel, Tel. (089) 63 808-318, bettina.pregel@blm.de