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Aufklärung über „Tücken“ der Netzkommunikation - Online-Communities im Fokus der 14. Fachtagung Medienpädagogik
27.11.2008 | 87 2008
Wie die JIM-Studie 2008 zeigt, wachsen Jugendliche heute selbstverständlich in Online-Welten auf. Besonders gerne nutzen sie Chaträume und soziale Netzwerke. 57 Prozent der 12- bis 19-Jährigen loggen sich mehrmals pro Woche in Online-Communities ein. Mit diesen Zahlen verdeutlichte BLM-Geschäftsführer Martin Gebrande in der Begrüßung, wie wichtig die Debatte über diese Art von Kommunikation im Netz ist. In drei Panels wurden anhand von Praxisbeispielen die Risiken der Online-Communities sowie Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz vorgestellt (Mobbing im Netz, Moderation: Medienratsmitglied Dr. Fritz Kempter; Selbst-Hass im Web, Moderation: Medienratsmitglied Helmut Wöckel; Konsequenzen für medienpädagogisches Handeln, Moderation: Erich Jooß).
Einen Einblick in die bekanntesten Online-Communities, darunter SchülerVZ (4,5 Millionen angemeldete Nutzer), Lokalisten, MySpace und die Videoplattform YouTube (Platz 3 der 100 meistbesuchten Websites in Deutschland) gewährte zum Auftakt Lucie Höhler von jugendschutz.net. Als Risiken nannte sie die Preisgabe persönlicher Daten, Mobbing, riskante Kontakte und ungeeignete Inhalte. Was Jugendliche an Online-Gemeinschaften fasziniert, erläuterte Dr. Claudia Lampert vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. „Online-Spiele und Communities scheinen zentrale Bedürfnisse der Nutzer nach Selbstdarstellung, Kommunikation und sozialer Vernetzung zu befriedigen.“ Lampert appellierte an die Teilnehmer, die Debatte nicht nur problemorientiert zu führen, sondern auch die Perspektive der jungen Nutzer/innen ernst zu nehmen. So könnten diese im positiven Fall kommunikative, kreative und soziale Kompetenzen einbringen. Als Handlungsansatz zur Vermeidung von Risiken sah Lampert u.a. die Schaffung von „Reflexionsräumen“ – eine Aufgabe, die in der Schule wahrgenommen werden müsste.
Wie „Datenexhibitionismus, Seelenstriptease und Cyberbullying“ durch Aufklärungsarbeit mit Jugendlichen begegnet werden kann, zeigte Markus Gerstmann vom Service Bureau Jugendinformation. Jugendliche wären sich häufig nicht über die Tragweite ihrer offenen Kommunikation im Netz bewusst, Erwachsene verhielten sich im Netz aber oft nicht besser. Um ihre Privatsphäre zu schützen, müssten die Schüler/innen ihre eigenen Regeln in Workshops oder Gesprächen erarbeiten.
Insbesondere das „Cyberbullying“ ist unter Schülern weit verbreitet. Diese neue Art von Mobbing ist angesichts populärer Medien wie Handy und Computer in kürzester Zeit umsetzbar und sehr effektiv. Beleidigende Videos, heimlich aufgenommene Fotos oder gefälschte Profile in Communities zeigen ihre Wirkung. Hilfe im Netz mittels eines moderierten Chats bietet die Seitenstark-Aktion „Mobbing – Schluss damit!“ (www.seitenstark.de), die Kristine Kretschmer vorstellte. Hier werde auch vielen realen Mobbingopfern geholfen, mehr noch als Opfern von Cybermobbing, so Kretschmer. Diese Art von Hilfe reiche jedoch häufig nicht aus, warnte Christine Bitter vom Bayerischen Landeskriminalamt. „Mobbing ist kein Kavaliersdelikt, da sind wirkliche Straftaten im Spiel“. Beim Cybermobbing wären z.B. die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts am eigenen Bild die Straftatbestände. Wenn schulinterne Sanktionen nicht mehr greifen würden, sollten die Mobbing-Opfer zur Polizei gehen, empfahl Kretschmer.
Ein weiteres Problemfeld, den „(Selbst-)Hass im Web“, erörterten Maria Monninger von der Stabsstelle der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und Michael Wörner-Schnappert von jugendschutz.net. Die Beispiele aus den Prüffällen der KJM reichten von Magersucht-Foren über Missbrauch von Drogen (Saufforen) und Selbstverletzung bis hin zu Suizid-Foren. Jugendgefährdend sind diese Foren u.a. dann, wenn eine Glorifizierung der jeweiligen Sucht und das Fehlen von Hilfsangeboten festgestellt wird. Bereits Betroffene können dadurch in ihrem Suchtverhalten bestärkt werden. Solche Angebote werden dann von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert und müssen aus dem Netz entfernt werden.
Gegen unzulässige rechtsextreme Angebote im Web geht jugendschutz.net im Rahmen seines Projektes „Rechtsextremismus im Internet“ vor. Das Internet als „grenzenlose, immer zugängliche Propagandaplattform“ sei heute ein wirkungsvolles Aktionsfeld der Rechtsextremen, so Michael Wörner-Schnappert. Als gefährlich bezeichnete er vor allem die „Verbindung von Freizeitwert und politischer Botschaft“. Häufig würden über Musikvorlieben oder Videos Kontakte zu Jugendlichen gesucht. Verstärkt, betonte der Experte, missbrauchten Rechtsextreme das Web 2.0 für ihre Zwecke.
Aus den zahlreichen Beispielen stringent medienpädagogisches Handeln abzuleiten, ist nicht ganz einfach, wie die Diskussion zeigte. Prof. Dr. Andreas de Bruin von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München formulierte dazu drei Thesen: Medienpädagogische Angebote müssen an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ansetzen; sie müssen die Eltern erreichen und Medienkompetenz bedeute auch, auf Medien verzichten zu können. Doch vielen Jugendlichen falle es mittlerweile sehr schwer, auf den Austausch in Online-Gemeinschaften zu verzichten und mehr direkt miteinander zu kommunizieren, berichtete der medienpädagogisch-informationstechnische Beratungslehrer Uli Rödl. Schüler gingen auch dann lieber über Plattformen wie „Lokalisten“ oder „SchülerVZ“, wenn die Angesprochenen im Pausenhof nur fünf Meter neben ihnen stünden. Eine Erklärung dafür lieferte de Bruin. Die Kommunikation im Netz sei anders: „Man kann sich interessanter machen und dadurch Schüchternheit und mangelndes Selbstwertgefühl kompensieren“. Dr. Andreas Hauenstein, einer der Lokalisten-Gründer, bestreitet dagegen, dass sich die Mehrzahl der jugendlichen Mitglieder von Social Communities im Netz „maskiert“. Dies wäre schon deshalb nicht möglich, weil die Jugendlichen auch im Netz auf Personen träfen, die sie im realen Leben kennen, und dann darauf angesprochen würden.
Jooß fragte schließlich in die Runde, ob nicht ein übergreifender Verhaltenskodex im Netz, vor allem für Online-Communities, notwendig sei. Nach Ansicht von Ekkehard Mutschler, Deutscher Kinderschutzbund, müsse ein solcher Kodex in der Familie entstehen. Hauenstein ergänzte, dass den Jugendlichen häufig nicht klar sei, dass die gesellschaftlichen Werte auch im Netz gelten, deshalb würden jetzt mehrere Anbieter von Social Communities einen Verhaltenskodex herausgeben.
Alle Diskutanten waren sich schließlich einig, dass es nicht allein Aufgabe der Anbieter, sondern vor allem auch der Schule und der Eltern sei, den jungen Nutzern beizubringen, nach welchen Regeln man sich auf solchen Plattformen bewegt, z.B. um die eigene Privatsphäre zu schützen. In jeder Hinsicht konsequent war deshalb das Resümee von Moderator Jooß: „Wichtig ist es, miteinander zu reden.“
>> Kontakt: Dr. Wolfgang Flieger, Tel. (089) 63808-313, wolfgang.flieger@blm.de