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- 1997
Seit 01. Januar 1997 gilt der neue Rundfunkstaatsvertrag in Form der Änderungen, die er durch den 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrag erfahren hat. Über die wesentlichen Änderungen habe ich regelmäßig im Medienrat berichtet. Jetzt geht es vor allem um die Umsetzung der Vorschriften und um den Vollzug der neuen Regelungen, insbesondere auf den Gebieten Sicherung der Meinungsvielfalt mit dem neuen Zuschaueranteilsmodell und der Einrichtung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, kurz KEK, um die Neuregelung zur Sendezeit für unabhängige Dritte, um die Einrichtung von Programmbeiräten im Rahmen sogenannter vielfaltsichernder Maßnahmen und Richtlinien der Landesmedienanstalten zu diesen Vorschriften; eine vorläufige Richtlinie über die Sendezeit für unabhängige Dritte steht ja gleich als TOP 3 auf der Tagesordnung.
Neben diesen Bereichen sind andere Neuerungen in den Hintergrund getreten, die von ganz erheblicher Bedeutung sind, z.B. die neuen Auskunftsrechte und Ermittlungsbefugnisse der Landesmedienanstalten. Nach § 22 RStV kann die zuständige Landesmedienanstalt alle Ermittlungen durchführen und alle Beweise erheben, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen der Sicherung der Meinungsvielfalt notwendig sind; z.B. Sachverhalte zur Bewertung der Frage klären, ob ein Unternehmen vorherrschende Meinungsmacht ausübt, die damit zusammenhängende Frage der Zurechnung von Programmen bei Beteiligungen von 25 oder mehr Prozent und andere Zurechnungsfragen prüfen, Veränderungen von Beteiligungsverhältnissen von Unternehmen feststellen, die Vorbereitung der Prüfung vornehmen, wer denn unabhängiger Dritter im Sinne des Staatsvertrages ist, bis hin zu den Regeln für den Programmbeirat und seine Mitwirkungsbefugnisse.
Sie erinnern sich, die medienpolitische Grundsatzdiskussion bis zur Schaffung des als sehr liberal eingestuften Zuschauer-Anteilsmodells, lief auch darauf hinaus, jedenfalls die Eckwerte, wie sie der neue Staatsvertrag vorsieht, zu sichern und wirksame Vorkehrungen zu treffen, daß die Bedingungen auch eingehalten werden. Dabei spielten auch Erfahrungen mit dem bisherigen Medienrecht eine große Rolle, das ja nach allgemeiner Auffassung zu wenige Möglichkeiten geboten hat, die materiellen Anforderungen auch tatsächlich abzusichern. Bei der Aufklärung einer Vielzahl von Sachverhalten wird die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) das Personal der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt einsetzen, der allein diese Befugnisse zustehen, wenn sie es für ihre Aufgabenstellung für notwendig hält. Mehrfach habe ich über diese Kommission berichtet; heute kann ich nur darauf hinweisen, daß sie immer noch nicht berufen ist und ihre Arbeit aufnehmen kann, was in der Praxis zunehmend Probleme mit sich bringen kann. Bei entsprechenden Zulassungsverfahren ist es ja wesentlich, daß die KEK als Organ mitwirkt, und genau dies kann zur Zeit nicht praktiziert werden.
Möglicherweise wird morgen in der Besprechung der Chefs der Staats- und Senatskanzleien hier ein abschließendes Ergebnis erzielt. Es wird nach dem Staatsvertrag ein weiteres neues Organ geben, das im Rahmen der Sicherung der Meinungsvielfalt tätig wird, nämlich die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM), die in bestimmten Fällen angerufen werden kann. Eine Neuerung ist auch die jetzt gesetzlich normierte Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der KEK und der Mitglieder der KDLM, die zukünftig auch gegenüber anderen Organen der Landesmedienanstalten gilt. Generell bestimmt hier § 24 RStV, daß Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die den Landesmedienanstalten im Rahmen der Durchführung ihrer Aufgaben oder sonst bekanntgeworden sind, nicht unbefugt offenbart werden dürfen.
Ein weiterer Berichtspunkt ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs betreffend Rechtsstreitigkeiten um die Zulassung des Deutschen SportFernsehens. Sie erinnern sich, die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der praktisch dem Genehmigungsbescheid der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien für das Deutsche SportFernsehen (DSF) Rechtswirksamkeit gegeben hat. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde lange erwartet und die Erwartungen an das Gericht und die Entscheidung waren vielfältig und hoch.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Ergebnis nun festgestellt, daß die Verfassungsbeschwerden - es sind mehrere - insgesamt alle unzulässig sind; dabei wurde nun nach längerer Findung der Entscheidung festgestellt, daß der Grundsatz der Subsidiarität verletzt sei, weil der Rechtsweg nicht erschöpft sei, denn die MABB habe die Möglichkeit, Eilrechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht zu erlangen, bei dem sich die Hauptsache derzeit befindet. Für ein solches Verfahren gibt das Bundesverfassungsgericht dann Hinweise, wie dem Gebot der Vielfaltsicherung Rechnung getragen werden könne. Die Aussagen sind allerdings sehr allgemeiner Art und werden immerhin zu einem Zeitpunkt fomuliert, zu dem ein neues Modell der Konzentrationskontrolle im Rundfunkstaatsvertrag gerade verabschiedet ist, ohne daß hierzu irgendein Hinweis aus den Erwägungen des Gerichts zu entnehmen wäre. Letztlich hat hier sicherlich nicht die MABB ihr Verfahrensziel erfolgreich erreicht, sondern im Ergebnis die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, auch wenn Zeitungsberichte, z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 24.01.1997, den Eindruck erwecken wollen, der Kläger habe nur scheinbar verloren. Ich denke, der Kläger hat grundsätzlich verloren.
In der letzten Direktorenkonferenz am vergangenen Montag haben wir uns auch mit der Frage befaßt, ob für die sogenannten Erotikprogramme "Fantasy Channel" und "Home Video Channel" Zulassungen erteilt werden können. Bei "Fantasy Channel" wurde festgestellt, daß der Zulassungsantrag derzeit nicht entscheidungsreif ist, da weitere Angaben und Unterlagen zu erwarten sind. Bei "Home Video Channel" hat die DLM mit 10 : 2 Stimmen festgestellt, eine Einhaltung der deutschen Gesetze durch den Veranstalter sei bei der derzeitigen Sachlage nicht ausreichend gewährleistet. Ausschlaggebend war, daß nach den derzeit vorliegenden Beurteilungen des Programmangebots nicht zu erwarten ist, daß "Home Video Channel" mit seinen geplanten Erotikprogrammen das für die Fernsehausstrahlung geltende Pornographieverbot einhalten kann. Dieses Beschlußergebnis geht zurück auf Prüfungen in der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm unter Zuziehung von zwei externen Sachverständigen. Den Antrag auf Zulassung hat "Home Video Channel" - wie auch "Fantasy Channel" - bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) gestellt. Bei der jetzt zu treffenden Entscheidung kann die MABB deutlich machen, daß sie solche eindeutigen Abstimmungsergebnisse auch beachtet; Sie erinnern sich, uns wurde gerade von der MABB immer wieder "gemeinschaftswidriges Verhalten" vorgeworfen.
Am Mittwoch dieser Woche haben die Intendanten der ARD einen Beschluß zu digitalem Fernsehen gefaßt. Sie beschlossen einstimmig, zur Internationalen Funkausstellung in Berlin in diesem Jahr ein eigenes Digitalangebot zu starten. Das digitale Pilotprojekt umfaßt alle TV-Angebote der ARD, das Erste ebenso wie die acht Dritten Programm, den ARD/ZDF-Kinderkanal oder Phoenix. "Vernetzen statt versparten" heißt das ARD-Konzept, das alle digitalen Programmangebote Schritt für Schritt miteinander verknüpft und dadurch den Zuschauern einen sichtbaren Mehrwert bietet. Herzstück des Pilotprojekts ist ein digitales Bouquet aus den Angeboten "ARD MuXx" (zeitversetzte Ausstrahlung des Ersten zwischen 20.00 Uhr und 01.00 Uhr), "ARD Extra" (Programmschleife mit vertiefenden Informationsangeboten) und "ARD Festival" (Progammschleife mit ausgewählten Eigenproduktionen der ARD) aus einem "Lesezeichen", das die Zuschauer zu ihrem Wunschprogramm führt, sowie aus dem elektronsichen Programmführer EPG (electronic programme guide). Bis zur IFA '97 soll das digitale Angebot um zehn ARD-Hörfunkprogramme erweitert werden.
Am gleichen Tag hat der VPRT massiv vor den öffentlich-rechtlichen Digitalplänen und den öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen zu Lasten privater Anbieter gewarnt. Der VPRT hat seinerseits einen Bestandsschutz der Übertragungskapazitäten privater Rundfunkveranstalter vor dem Zugriff öffentlich-rechtlicher Spartenprogramme in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder, den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, gefordert. Zu den Plänen von ARD und ZDF formuliert der VPRT - ich zitiere aus der Presseerklärung vom 05.02.1997:
"Unter dem irreführenden Stichwort "Vernetzen statt Versparten" soll die Digitalisierung als Vorwand für die weitere Zielgruppendifferenzierung des gebührenfinanzierten Programmangebots herhalten. Absurd mutet die Argumentation an, die neue Zusammenstellung vom "altem" Programmaterial in veränderter Abfolge stelle keine neuen Programme dar. Würde die Medienpolitik dieser Argumentation folgen, so hätte schon der Kinderkanal keiner rechtlichen Grundlage bedurft - einer uneingeschränkten Verspartung von ARD und ZDF wären damit Tür und Tor geöffnet." Soweit dieses Zitat.
Die Erklärung schließt mit der Aussage: "Wird der öffentlich-rechltiche Programmauftrag nicht in qualitativer und quantitativer Hinsicht klar definiert, ist der Fortbestand des dualen Rundfunksystems grundsätzlich in Frage gestellt".
Die Heftigkeit in der Auseinandersetzung macht deutlich, daß es um ein ganz grundsätzliches Problem der Entwicklung des dualen Rundfunksystems geht. Auch bei Kanalbelegungsfragen wird dies immer deutlicher - wir werden uns ja unter Tagesordnungspunkt 7 auch mit diesen Fragen befassen. Grundproblematik bleibt: Neue öffentlich-rechtliche Spartenprogramme, digitale Bouquets, neue Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die ohne ausreichende Rechtsgrundlage aus vorhandenem Material neu zusammengestellt werden, Fragen des Vorrangs öffentlich-rechtlicher Programme im Kabel auch mit dem Argument, Gebührenfinanzierung durch jedermann müsse zum Vorrang in der Verbreitung führen, und zu allem Überfluß dann noch die Blockadepolitik der Deutschen Telekom sowohl bei den analogen wie bei den digitalen Verbreitungstechniken. Ein schillerndes medien-politisches Bouquet, das weiteren grundsätzlichen Klärungen schnellstmöglich zugeführt werden muß. Hier ist zunehmend wiederum die Medienpolitik gefordert, die die Lücken im jetzigen Recht nicht oder noch nicht geschlossen hat.