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Eine Frage der Generation 
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Eine Frage der Generation 

Wohin  geht die Reise bei Einsatz und Entwicklung von KI-Anwendungen durch (Medien-)Startups? Gerade die Bedeutung der generativen KI ist gestiegen. Jim Sengl, der Netzwerk- und KI-Experte der Medien.Bayern, hat auf der South by Southwest (SXSW) mit vielen Gründerteams gesprochen, um zu erfahren, was sie in Sachen Künstlicher Intelligenz umtreibt.

Text Jim Sengl

Mein Job ist es, mit Medienunternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen über Innovation, Medientechnologie und neue Kooperationsmöglichkeiten zu sprechen. Ziemlich cool, wie ich als Kind der 80er Jahre sagen würde, denn die Arbeit ist extrem abwechslungsreich und technologisch getrieben. Künstliche Intelligenz (KI) spielte immer wieder eine Rolle, angefangen beim Roboter- und Datenjournalismus bis hin zu Spracherkennung und Empfehlungsalgorithmen. Thematisch hat sich KI immer irgendwo untergemischt, und man wusste nie ganz sicher, wo die Reise hingeht.
… und dann kam 2023, und mit dem Zusatz „generativ“ war KI als Thema plötzlich überall.

Heute, über ein Jahr später, spreche ich mit Medienschaffenden nach wie vor hauptsächlich über generative KI. Damit hat zwar der Abwechslungsreichtum insgesamt etwas abgenommen, inhaltlich ist die Vielfalt der Themen jedoch förmlich explodiert.

Einen guten Eindruck von der Größe des KI-Einschlagkraters bekommt man im Gespräch mit Medien-Startups, die sich seit 2023 gegründet haben, oder mit generativer KI ganz neue Möglichkeiten für ihre Produkte verwirklichen können. Auf der South by Southwest (SXSW) dieses Jahr in Austin hatte ich Gelegenheit, mit vielen Gründerinnen und Gründern über ihre Herangehensweise und Einschätzung zu generativer KI zu sprechen. Für mich haben sich dabei vier Gegensatzpaare herauskristallisiert, die Startups im Moment besonders beschäftigen.

Legacy vs. Greenfield

Der vielleicht größte und offensichtlichste Vorteil, den Startups in 2024 haben, ist, dass sie ihre Produkte auf der grünen Wiese, dem „Greenfield“, entwerfen können und generative KI von Beginn an in ihre Produkte einplanen. Etablierte Unternehmen tun sich hier schwerer. Sie besitzen meistens lang laufende, sogenannte „Legacy“-Systeme, die zu einer Zeit entwickelt wurden, in der es keine generative KI gab. Die nachträgliche Integration von Schnittstellen, die einen Einsatz ermöglichen, sind oft langwierig und teuer. Dieser Wettbewerbsvorteil ist aktuell einer der größten Treiber für Startup-Gründungen mit einem Fokus auf generative KI.

Human in the Loop vs. Automation

Generative KI hat, anders als regelbasierte KI-Systeme, das Problem, dass sie unerwünschte und schlichtweg falsche Ergebnisse produzieren kann. KI-Systeme, die bereits seit Langem Anwendung im Medienbereich finden, wie etwa regelbasierte Empfehlungsalgorithmen, kommen ohne jegliche Art von menschlicher Einwirkung zurecht und liefern dabei zuverlässige und kontrollierbare Ergebnisse. Generative Systeme kommen im Gegensatz dazu aktuell oft nicht ohne den „Human in the Loop“ aus. Diese Qualitätssicherung durch einen Menschen ist für die Skalierbarkeit von Produkten, die in ihrem Kern auf generative KI setzen, ein echtes Problem. Gründer und Gründerinnen müssen hier oft abwägen, wie viel menschliche Ressource sie einsetzen können, um ein sicheres Produkt zu einem konkurrenzfähigen Preis anbieten zu können.

Open vs. Closed

In der aktuellen KI-Dynamik des Startup-Ökosystems spielen große Sprachmodelle (Large Language Models) eine wichtige Rolle. Diese Modelle lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien aufteilen: Open-Source-Modelle (wie GPT oder Llama) und Closed-Source-Modelle (wie ChatGPT, Claude oder Gemini). Geschlossene Modelle werden von Unternehmen vertrieben, permanent weiterentwickelt und bieten die größte Leistungsfähigkeit am Markt. Offene Modelle sind über Websites wie Hugging Face meist kostenlos verfügbar und bieten Anpassungsmöglichkeiten für ihre Nutzer und Nutzerinnen. Eine weitere Eigenschaft ist, dass sich heruntergeladene Modelle nicht wie geschlossene Modelle permanent verändern. Damit kann man den Zustand des Modells „einfrieren“ und die Ausgaben des Systems werden vorhersehbarer und damit besser kontrollierbar. In der Realität finden nicht selten beide Typen von Modellen Anwendung im selben Startup. Auf meine Frage, welche Art von Modell grundsätzlich bevorzugt wird, schlug das Pendel dann aber doch zu den Open-Source-Modellen aus. Der wichtigste Grund dafür: Mit Closed-Source-Modellen begibt man sich in eine starke Abhängigkeit von deren Herstellern.

Small vs. Large

Zu den großen Sprachmodellen gibt es auch kleinformatige Gegenstücke, sogenannte Small Language Models (SLMs). Solche SLMs beruhen auf einem deutlich kleineren Datensatz und sind in der Regel hochspezialisiert auf eine ganz bestimmte Aufgabe. In dem engen Einsatzgebiet, für das sie trainiert wurden, sind sie effizienter als LLMs und liefern zugleich oft bessere Ergebnisse bei höherer Geschwindigkeit und geringeren Kosten. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil ist die Möglichkeit, diese Modelle individuell weiter zu trainieren oder ausschließlich mit eigenen Daten zu trainieren. Dieser Aufwand lohnt sich sehr, weil diese Modelle Mitbewerbern nicht zur Verfügung stehen und sich das Startup damit von der Konkurrenz absetzen kann.

Dieser kleine Ausschnitt, den ich aus meinen Gesprächen mit Gründerinnen und Gründern hier festhalten konnte, zeigt, wie unterschiedlich, dynamisch und vielschichtig die Welt für Medien-Startups im Moment ist. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Neue Entwicklungen bei KI-Agenten-Systemen wie etwa Devin, der KI-Software-Engineer, entwickelt vom KI-Startup Cognition, sind wahrscheinlich nur ein weiterer Schritt in eine Zukunft, in der generative KI neue Möglichkeiten schafft, aber auch alte Prozesse und Produkte nach und nach verschwinden lässt. Ich habe mich jedenfalls von der Lust der Gründerteams, diese Zukunft mitzugestalten, anstecken lassen und ich hoffe, ich bleibe damit nicht alleine.

Bild Jim Sengl
Jim Sengl leitet beim MedienNetzwerk Bayern in München den Bereich Vernetzung und strategische Partnerschaften. Sein Spezialgebiet sind die Themen Generative KI und branchenübergreifende Vernetzung.
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