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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Freie Medien sind das Benzin im Motor der Demokratie
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Freie Medien sind das Benzin im Motor der Demokratie

Desinformationskampagnen erschüttern gezielt das Vertrauen in Medien und Demokratie. Und das ist nur ein Instrument im digitalen Kommunikationsraum, mit dem die Menschen lernen müssen umzugehen. Bayerns Digitalminister Dr. Fabian Mehring und BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege, sind sich einig, dass der Dreiklang aus Verantwortlichkeit, Qualitätsjournalismus sowie Medien- und Digitalkompetenz Vertrauen in Politik und Medien schafft.

Text Bettina Pregel

Tendenz: Demokratie braucht Vertrauen in die Medien und das kann durch Desinformation untergraben werden. Welche Desinformation ist Ihnen beiden in den letzten Monaten besonders aufgefallen?

Thorsten Schmiege: Es ist aus meiner Sicht nicht die eine Falschnachricht, die demokratiegefährdend ist. Hinter Desinformation stecken häufig Kampagnen, in denen viele Fehlinformationen wie in einem Mosaik zusammengesetzt sind, um Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen. Im Fokus solcher Desinformationskampagnen, die teilweise aus dem Ausland gesteuert werden, stehen häufig nationale oder auch weltpolitische Ereignisse.

Fabian Mehring: Tatsächlich sind das Problem nicht einzelne Fake News, sondern die in einer gezielten Kampagne bewusst gebündelte Summe von Fehlinformationen, hinter der eine Agenda zur Manipulation von Meinungsbildung steckt. Das fiel mir zuletzt auf, als ich bei den Olympischen Spielen in Paris war und es die russischen Fake News über Bettwanzen in französischen Hotels gab. Davon allein geraten westliche Demokratien selbstredend nicht ins Wanken. Problematisch ist jedoch die erkennbare Intention, über das Streuen einer Vielzahl von derlei Petitessen ein Gesamtbild zu zeichnen, das bei den Menschen als negatives Narrativ verfängt.

„Verunsicherte Öffentlichkeit“ ist der Titel einer Bertelsmann-Studie zu Desinformation im Wahljahr 2024. Ist Desinformation die Pest dieses Jahrzehnts?

Fabian Mehring: Gezielte Desinformation ist in der Tat zur Pest unserer modernen Zeit geworden. Fake News verbreiten sich wie eine Epidemie und vergiften das politische Klima. Das hat sich sowohl bei den jüngsten Landtagswahlen in Deutschland als auch auf europäischer Ebene gezeigt: Allenthalben setzen politische Geschäftemacher darauf, öffentliche Meinungsbildung per Falschinformation zu manipulieren und darüber die Konfiguration unserer Demokratie in ihrem Sinne zu verändern. Dabei wirken soziale Medien bisweilen als Fake News-Maschinen mit gigantischen Reichweiten und erheben die krudesten Verschwörungstheorien zur „Religion der Uninformierten“. Um nicht zu einer Deep Fake-Demokratie zu verkommen, sind konkrete Maßnahmen angezeigt – wie bei einer echten Epidemie. Wir brauchen eine Menge Prävention durch Aufklärung und Sensibilisierung, klare Regeln zum Umgang mit den Symptomen und wirksame technische Werkzeuge für die Therapie.

Thorsten Schmiege: Gelogen wurde in der Geschichte der Menschheit immer. Nehmen wir z.B. die konstantinische Schenkung im Jahr 800 nach Christus, eine gefälschte Urkunde, um die Vormacht und die territorialen Ansprüche der Päpste zu sichern. Das ist eine der ersten „Fake News“ gewesen, die verbreitet wurden. Desinformation war also schon immer ein Instrument, um im eigenen Interesse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wir haben im 20. Jahrhundert das Thema Propaganda auf einem ganz anderen Niveau erlebt und wegen der Breitenwirkung von Rundfunk mit einer dezidierten Regulierung reagiert. Nun sind neue Player mit neuen technischen Möglichkeiten hinzugekommen. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz können z.B. täuschend echte Bilder hergestellt werden. Und diese „Fake“-Bilder bleiben im Kopf. Wir sollten als Gesellschaft darüber nachdenken, was die richtigen Instrumente sind, um das Vertrauen in das, was man sieht, hört und liest, zu stärken.

Eine Maßnahme, um das Vertrauen wieder herzustellen, ist die „Bayern-Allianz gegen Desinformation“. Welche Idee steckt hinter der Allianz?
Fabian Mehring: Mit unserer Bayern-Allianz packen wir das Problem schon im vorpolitischen Raum bei seinen Wurzeln – und nicht erst, wenn es justiziabel wird. Uns geht es darum, die Spielregeln unserer Demokratie sowie die Gütekriterien von Qualitätsjournalismus im digitalen Raum zu etablieren. Deshalb haben wir ein europaweit einzigartiges Bündnis geschmiedet. Unter dem Dach unserer Allianz wirken globale Tech-Konzerne, bayerische Qualitätsmedien, Partner aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie die Insti-tutionen der Staatsregierung konzertiert zusammen. Gemeinsam bieten wir den Feinden unserer Demokratie – auch und insbesondere im digitalen Raum – die Stirn.

Desinformation vergiftet politisches Klima

Wie hat sich das politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland verändert? Und welche Rolle spielt Desinformation dabei?
Fabian Mehring: Es ist in jedem Fall rauer geworden und wir erleben eine deutliche Verschiebung des Diskurses an die politischen Ränder. Das ist kein bayerisches oder deutsches Phänomen. Vergleichbares zeigt sich derzeit in nahezu allen europäischen Staaten. Spätestens seit der Corona-Pandemie haben wir es mit einer Reihe von Verschwörungsmythen zu tun, die sektenhafte Züge aufweisen und zu einem gemeinsamen Nenner der Einfältigen geworden sind. Unter manchen Aluhüten stecken Impfgegner, andere sind 5G-Kritiker oder Reichsbürger. Aus alledem ist eine eigenartige Melange aus Systemkritikern erwachsen, die unbegründete Zweifel an den Grundfesten unserer Verfassung hegen. Im digitalen Raum erzielen deren krude Theorien bisweilen gewaltige Reichweiten, weil sie dort oft unwidersprochen stehen bleiben und massenhaft verbreitet werden. Derlei sich selbst verstärkende Kommunikationsblasen müssen wir dringend zum Platzen bringen, um die zunehmende Entkopplung von Diskurs und Realität zu stoppen.

Thorsten Schmiege: Keiner kann leugnen, dass es außer für Politiker und Mandatsträger auch für Journalisten immer schwerer wird angesichts der Medienskepsis. Zur Entwicklung dieses Phänomens gibt es mehrere Studien. Die BLM hat z.B. 2023 rund um die Landtagswahl in Bayern untersuchen lassen, wie sich die 18- bis 24jährigen Erst- und Jungwählenden informieren und wie hoch ihr Vertrauen in die Demokratie ist (vgl. S. 26-27). Gut ein Drittel haben Aussagen zugestimmt, dass die Bevölkerung systematisch von den Medien belogen wird und die Politik die Meinung der Bevölkerung manipuliert. Besonders hoch ist dieser Anteil bei denjenigen, die radikal gewählt haben. Es gibt also einen nicht zu unterschätzenden Zusammenhang zwischen Medien- und Demokratievertrauen.

Wesentliche Säule der Demokratie ist die Meinungsfreiheit. Diese kompromisslos zu verteidigen, erklärt der Gründer von Telegram, Pavel Durow. Nun wird gegen ihn ermittelt.  Wo sind für Sie beide die Grenzen von Meinungsfreiheit?

Thorsten Schmiege: In einer freiheitlichen Demokratie muss man auch Meinungen tolerieren, die nicht der eigenen entsprechen und die man vielleicht ein Stück weit unerträglich findet. Generell gilt, dass wir gleiche Spielregeln für alle Player – vom Rundfunk bis zu Social Media – brauchen. Dafür müssen alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenarbeiten: in der Medienregulierung globaler Internet-Player auf europäischer Ebene, bei der Medienkompetenz-Vermittlung und bei der Förderung starker Qualitätsmedien.

Was Telegram betrifft, sollte man nicht vergessen, dass Plattformen und Messenger-Dienste wie eine Bühne sind. Was auf dieser Bühne passiert, entscheiden zunächst einmal diejenigen, die Telegram oder andere Dienste nutzen. Die Plattformanbieter vertreten die Ansicht, dass sie nur die Infrastruktur bieten, aber nicht für die Inhalte verantwortlich sind. Einfluss und Macht auf die Meinungsbildung zu haben, bedeutet aber auch, Verantwortung zu tragen. Und diese Verantwortung fordern die Medienanstalten schon seit längerer Zeit ein. Laut Medienstaatsvertrag haben wir die Aufgabe, Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten zu sanktionieren. Das ist gar nicht so einfach, weil man sich da ganz schnell im Bereich Meinungsfreiheit bewegt.

Fabian Mehring: Meinungsfreiheit endet an den Grenzen unserer Verfassung. Das heißt: Dort, wo die Grenzen der Verfassung überschritten werden, müssen wir klare Kante im Sinne eines resilienten Rechtstaats zeigen und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie in Anschlag bringen. Für den digitalen Raum bedeutet das: Was am Stammtisch kriminell ist, muss auch im Internet illegal sein.

Dabei stellt es uns häufig vor Probleme, dass digitale Kommunikation auf globalen Plattformen stattfindet, sodass sich Versuche einer Regulierung auf nationalstaatlicher Ebene bisweilen als zahnlose Tiger erweisen. Umso wichtiger sind klare gesamteuropäische Regeln, wie wir sie im Digital Services Act (DSA) auf den Weg gebracht haben.

Genau wie bei der Regulierung plädiere ich dafür, auch bei der Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenz konzertierte Allianzen einzugehen. Dabei können beispielsweise die BLM und mein Digitalministerium gemeinsam viel Gutes tun. Etwa wenn es darum geht den Menschen klarzumachen, dass die Überprüfung der Kredibilität von Quellen im digitalen Raum genauso wichtig ist wie in der analogen Welt.

Auch Elon Musk wird vorgeworfen, auf X, ehemals Twitter, zu wenig auf demokratische Spielregeln zu achten. Deshalb ziehen sich immer mehr Organisationen aus X zurück. Warum ist das Digitalministerium noch auf X vertreten,?

Fabian Mehring: Weil ich nicht dazu bereit bin, den digitalen Kommunikationsraum den Feinden unserer Verfassung exklusiv zu überlassen. Als überzeugte Demokra­tinnen und Demokraten müssen wir überall präsent sein, wo öffentliche Meinungsbildung geschieht. Dabei geht es nicht um die Frage, ob Elon Musk ein lupenreiner Demokrat ist, sondern um die Diskurshoheit im digitalen Raum.
Das gilt für X und TikTok gleichermaßen wie für alle anderen Social-Media-Plattformen. Nüchtern betrachtet sind soziale Medien ja auch nicht per se des Teufels, sondern nur ein neues Instrument im Werkzeugkoffer moderner Kommunikation. Mit einem Hammer kann man ja auch sowohl einen Nagel in die Wand schlagen als auch einen Mord begehen. Nicht anders ist es mit sozialen Netzwerken. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.

Für mich eröffnen soziale Medien die Chance, nahbar und transparent zu kommunizieren und politische Entscheidungen einem breiten Publikum verständlich zu erklären. Problematisch wird es freilich dann, wenn destruktive Kräfte die Plattformen zu Fake News-Maschinen umfunktionieren, um unsere Gesellschaft zu spalten.

Dr. Schmiege, welche Verantwortung tragen die Betreiber Sozialer Netzwerke und Messenger-Dienste für die Inhalte?

Thorsten Schmiege: Das Werkzeugbild beschreibt das Problem gut. Auch Telegram ist ein Beispiel dafür. Damit wurde ursprünglich ein Kommunikationsangebot geschaffen, um auch regierungskritischen Menschen in totalitären Regimen eine geschützte Plattform für den Austausch zu bieten. Das kann auch in die andere Richtung genutzt werden, von Demokratiefeinden, die sich unter dem Radar der Verfassungsschützer kurzschließen. Deshalb sollten nun Möglichkeiten diskutiert werden, an welchen Stellen sich Telegram gegenüber den Behörden öffnen kann und muss, ohne den Charakter der Gründungsidee zu verlieren.

Welche Rolle spielen denn Soziale Netzwerke für die Meinungsbildung gerade junger Menschen?

Thorsten Schmiege: Wir wissen aus Studien, dass junge Menschen sich hauptsächlich bei YouTube, Instagram, TikTok und Co informieren. Das Informationsverhalten verschiebt sich weg von Print, Radio und TV hin zu den Intermediären, also Sozialen Netzwerken, Messenger-Diensten wie WhatsApp, und Suchmaschinen wie Google. Wir müssen als Gesellschaft akzeptieren, dass sich die User den Verbreitungsweg aussuchen, den sie favorisieren.

Die Inhalteanbieter wiederum brauchen Reichweite und müssen deshalb auf diesen Kanälen präsent sein. Laut dem Online-Video-Monitor 2023 könnte TikTok aus Sicht der Videoanbieter in Zukunft YouTube als reichweitenstärkste Plattform überholen. Welche Plattform die reichweitenstärkste ist, kann sich jederzeit ändern. Die Regulierung muss unabhängig von einzelnen Playern agieren, um den Missbrauch von Meinungsmacht zu verhindern. Problematisch wird es dann, wenn politische Kräfte gezielt Influencer einkaufen, um auf Social Media politisch Werbung zu machen. Im Rundfunk ist das aus guten Gründen verboten.

Sind Influencer aus Sicht eines Politikers die neuen Meinungsmacher?

Fabian Mehring: Na klar - aber ich würde das Wort „neue“ streichen. Denn wirklich neu ist ja eigentlich nur die Darreichungsform sowie die Art und Weise, wie Inhalte konsumiert werden. Wenn Aristoteles, Platon oder Cicero Reden gehalten haben, waren sie schließlich auch nichts anderes als politische Influencer ihrer Zeit. Verändert haben sich über die Jahrhunderte hinweg einzig die Kommunikationsformen und deren Reichweite. Gerhard Schröder sagte über sich selbst, er regiere mit „BILD, BamS und Glotze“. Heutzutage kommen eben soziale Medien als weiterer Kommunikationskanal dazu.

Politisches Influencertum ist dabei per se nichts Negatives, sondern eine große Chance, die Menschen unmittelbar an der Entstehung politischer Entscheidungen teilhaben zu lassen. Ich bin davon überzeugt: Die Leute über soziale Medien hinter die Kulissen der politischen Arbeit blicken zu lassen, kann sogar helfen, verlorengegangenes Vertrauen in die Politik und ihre Akteure zurückzugewinnen.

Verantwortungsvoller Einsatz Künstlicher Intelligenz

Über gefakte Bilder und Geschichten haben wir bereits gesprochen. Durch Künstliche Intelligenz (KI) eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Wie lässt sich hier möglicher Manipulation entgegenwirken?

Fabian Mehring: Je mehr zweifelhafte Kräfte Zukunftstechnologien gegen unser Gemeinwesen in Anschlag bringen, umso mehr müssen wir die gleiche Technik nutzen, um unsere Demokratie zu schützen. Dabei kann uns etwa KI dabei helfen Fake News einzudämmen, wie wir das bereits mit Partnern wie Google, Meta, Microsoft und Adobe in unserer Bayern-Allianz gegen Desinformation erfolgreich umsetzen. Zeitgleich ist es angesichts der hohen Dynamik des technischen Fortschritts an uns, die Menschen fortlaufend aufzuklären. Viele Leute sind einfach noch nicht daran gewöhnt, dass es nun Künstliche Intelligenz in ihrem Alltag gibt, sodass beispielsweise ein Video auf ihrem Handy potenziell auch künstlich erzeugt worden sein könnte. Dafür müssen wir die Bevölkerung sensibilisieren.

Thorsten Schmiege: KI ist zunächst einmal eine ganz spannende Entwicklung, gerade für Medienunternehmen. Sie nutzen die Möglichkeiten u.a. für die Recherche und zur Vereinfachung der Redaktionsabläufe, um mehr Zeit für den journalistischen Auftrag zu haben. Aber wie bei jeder neuen technologischen Entwicklung gibt es auch Risiken. Umso mehr muss bei KI deshalb immer erst die Quelle von Informationen hinterfragt werden. Deshalb gibt es für Verlage die Impressumspflicht, die auch für Online-Publikationen gilt. Erst, wenn jemand mit seinem Namen für etwas steht, kann ich beurteilen, ob ein Inhalt vertrauenswürdig ist.

Der Medienrat der Landeszentrale hat vor anderthalb Jahren Leitlinien für den Einsatz von KI im Journalismus verabschiedet. Das oberste Prinzip: Die redaktionelle Verantwortung liegt immer beim Menschen. Ein weiterer wichtiger Punkt: die Transparenz.

Was sollte denn alles gekennzeichnet werden?

Thorsten Schmiege: Am Anfang dachte ich, Kennzeichnen ist das A und O. Mittlerweile sehe ich das anders. Wichtig ist es, Transparenz zu schaffen. Wie setzt man die KI ein? Und wer übernimmt die Verantwortung?

Fabian Mehring: Richtig. Entscheidend ist, dass wir uns einig über die vollumfängliche Verantwortlichkeit desjenigen sind, der Inhalte publiziert – und zwar unabhängig davon, wie sie zustande gekommen sind. Wir brauchen einen menschenzentrierten KI-Ansatz. Künstliche Intelligenz kann lediglich ein Werkzeug für jemanden sein, der damit arbeitet, für sein Werk aber gleichwohl die volle persönliche Verantwortung zu tragen hat.

Mit Transparenz und gut erklärter Politik Vertrauen zurückgewinnen

Die Verantwortlichkeit ist ein entscheidendes Kriterium für Medienvertrauen. Lassen sich Medien- und Demokratievertrauen gleichsetzen?

Thorsten Schmiege: Ich würde es nicht gleichsetzen. Da hilft der Blick auf die Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts. Freie Medien sind die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie, sie sind aber nicht wesensgleich.
Fabian Mehring: Für mich sind freie Medien das Benzin im Motor der Demokratie. Insofern setzt das eine das andere voraus. Wenn wir sehen, was wenige Flugstunden von hier in der Ukraine oder im Nahen Osten und anderswo auf der Welt passiert, sind wir wirklich gesegnet, unsere freie Medienstruktur zu haben. Ich finde: Unser Ansatz einer klugen Kombination aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien ist ziemlich ideal, um ein demokratisches Gemeinwesen gut in die Zukunft zu führen. Wir sind deshalb auch wohl beraten, uns das nicht dauerhaft selbst schlecht zu reden oder von Populisten schlecht reden zu lassen.

Trotzdem nimmt das Misstrauen zu. Wie kann Demokratievertrauen zurückgewonnen werden?

Fabian Mehring: Für essenziell halte ich Transparenz. Wir müssen wieder lernen, Politik nicht einfach nur zu machen, sondern sie den Menschen auch gut zu erklären. Und zwar so, dass unsere Entscheidungen in der Breite der Gesellschaft, die sich nicht täglich mit Politik befassen kann, verstanden werden. Im zweiten Schritt gilt es die Menschen dazu zu befähigen, im digitalen Kommunikationszeitalter zurechtzukommen, sodass sie politische Kampagnen objektiv einordnen und für sich bewerten können.

Nehmen wir zum Beispiel das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen. Ich bin mir sicher: Wären die Menschen nicht einzig mit der Alternative für Deutschland (AfD) konfrontiert, die sie über TikTok kennen, sondern im Bilde, was Positionen wie ein Austritt aus NATO und Europäischer Union für ihre Lebenswirklichkeit bedeuten würde, wäre die Abstimmung anders ausgegangen.

Und wie kann Medienvertrauen zurückgewonnen werden?

Thorsten Schmiege: Wir haben den Dreiklang schon angesprochen: durch Regulierung, Qualitätsjournalismus mit vertrauenswürdigen Angeboten und die Vermittlung von Medien- und KI-Kompetenz.

Warum wenden sich bestimmte Menschen von den Qualitätsmedien ab? Das hat auch ein bisschen was damit zu tun, dass man sich als Journalist nicht vereinnahmen lassen sollte. Jenseits der Kommentarspalten sollte jedes politische Geschehen aus mehreren Blickrichtungen betrachtet werden. Die eine vermeintlich richtige Blickrichtung gibt es nicht.

Wenn Medien- und Digitalkompetenz die Schlüsselqualifikationen für die KI-Welt von heute und morgen sind, wer sollte sie vermitteln?

Thorsten Schmiege: Das ist zunächst die Aufgabe von Medienanstalten, Elternhaus und Bildungseinrichtungen. Unterstützung aus der Politik in Form von Kooperationen gibt es bereits in gemeinsamen Projekten wie dem Medienführerschein Bayern. Wir müssen alle gesellschaftlichen Kräfte bündeln, um die Medienkompetenz zu stärken.

Fabian Mehring: Richtig! Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung, die nur im Zusammenspiel funktionieren kann: Das beginnt in den Familien, die Schule muss vertiefen und in Ausbildung, Studium und Beruf muss sich diese Kompetenz fortentwickeln. Deshalb setze ich als Digitalminister bewusst auf passende Angebote für Medien- und Digitalkompetenz vom Kleinkind bis zur Seniorin: von der Medienkompetenz-App „Wo ist Goldi?“ für die Grundschüler bis zu „Zusammen Digital“, unseren Beratungstheken für Senioren. Mit unserer Bayern-Allianz gegen Desinformation führen wir diese losen Fäden zusammen und schnüren ein kraftvolles Gesamtpaket zur Verteidigung unserer Demokratie im digitalen Raum.

Zur Person

Dr. Fabian Mehring (rechts) ist seit November 2023 Bayerischer Staatsminister für Digitales. Seit 2018 sitzt der promovierte Politikwissenschaftler als Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Bis zu seiner Ernennung zum Minister war er parlamentarischer Geschäftsführer der Freie Wähler-Fraktion im Landtag.

Dr. Thorsten Schmiege (links) ist seit Oktober 2021 Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Seine Tätigkeit für die BLM begann er im September 2019 als Geschäftsführer. Außerdem ist der promovierte Jurist stellvertretender Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalen.

Bild Bettina Pregel
Bettina Pregel ist stv. Pressesprecherin und Redakteurin der Tendenz in der Gruppe Kommunikation der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Die Pressereferentin arbeitete zuvor bei Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
 
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