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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Die Lebens­versicherung der Demokratie
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Die Lebens­versicherung der Demokratie

Lokale Medien stehen unter massivem wirtschaftlichem Druck. Sie werden oft belächelt und noch öfter unterschätzt. Gleichzeitig ist Lokaljournalismus ein Sprachrohr für die Menschen vor Ort und essenzieller Bestandteil unserer Demokratie. Lokale Medien sind besser als ihr Ruf. Ein Plädoyer.

Ein Gastbeitrag von Katja Ilnizki

Der Wecker klingelt um halb sieben. Wie jeden Montag macht sich Markus Gollinger auf den Weg in die Arbeit. Er ist Lokaljournalist bei dem oberbayerischen Radiosender Bayernwelle SüdOst: „Es war ein stinklangweiliger Tag. Zu dritt in der Redaktion, nichts war los. Die Nachrichtenlage gleich null.“ Nur wenige Stunden später ist alles anders.

Es ist der zweite Januar 2006. Am Nachmittag stürzt das Dach der Eislaufhalle im nahe gelegenen Bad Reichenhall ein und begräbt 15 Menschen unter sich – zwölf davon sind Kinder. „Mir ist es heiß und kalt den Rücken runtergelaufen“, erinnert sich Gollinger. Es war das bislang prägendste Erlebnis in seiner Zeit als Lokaljournalist. „Wir haben sofort das Programm umgestellt – wir haben sofort die Musik geändert.“ Anstelle der lauten, schrillen Popsongs laufen ruhige, leise Balladen im Radio.

Lokaljournalismus ist nah. Lokaljournalismus tut manchmal weh. Lokaljournalismus trägt Verantwortung, die über das bloße Informieren hinausgeht. „Du musst sofort das Gefühl der Menschen vor Ort aufgreifen – und du bist einer von ihnen. Und das Gefühl ist nicht Halligalli.“ Lokale Medien bestechen durch ihre Unmittelbarkeit und ihr Einfühlungsvermögen. Sie kennen die Themen und Befindlichkeiten ihres Publikums. Und trotzdem sind sie nicht selten Verlierer.

Lokale Medien berichten nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern sind mittendrin

Das Image des Lokaljournalismus hat offenbar gelitten. „Und das in vielen Fällen zurecht. Vor allem, wenn Geschichten ohne Relevanz erzählt werden“, sagt Michaela Hessenberger. Die freie Printjournalistin lebt und arbeitet nur 20 Kilometer von Bad Reichenhall entfernt, im österreichischen Salzburg. Ihr Steckenpferd: Lokales.

Doch die Journalistin wägt ab: Oft sei Lokaljournalismus handwerklich auch gut gemacht und dann sei ein solch negatives Pauschalurteil weder fair noch richtig. „Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten sind diejenigen, die gerne viele Meter machen und viel Einsatz zeigen. Sie arbeiten direkt am Menschen. Und den Umgang mit dieser Bandbreite an unterschiedlichsten Personen – vom Politiker über die Wirtin bis zur Reinigungskraft – die musst du erst einmal leisten können“, argumentiert Hessenberger. Sie ist seit knapp 20 Jahren Lokaljournalistin und schreibt u.a. für eines der österreichischen Leitmedien, die Salzburger Nachrichten.

Lokale Medien berichten nicht aus dem Elfenbeinturm – sie stehen mittendrin. Sie sind für die Menschen zugänglich und vertrauenswürdig. „Lokaljournalismus ist auch die Stimme der Bürgerinnen und Bürger. Hier kommen ihre Themen nicht nur zur Sprache. Hier wird auch ihre Sprache gesprochen“, stellte auch der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), Dr. Thorsten Schmiege, bei der Eröffnung der diesjährigen Lokalrundfunktage in Nürnberg fest.

Themen und Probleme haben immer eine lokale Wurzel

Die Bedeutung lokaler Medien wird gerne unterschätzt. Sogar in der Medienbranche selbst werden die Lokalen nur zu gerne belächelt. „Natürlich hat eine Bundespressekonferenz mehr Flair als eine Gemeinderatssitzung. Und du kannst dich auch als Journalist wichtiger fühlen. Aber inzwischen bin ich der Meinung, dass die Stechmückenbelastung, die im Gemeinderat diskutiert wird, für den Menschen das dringlichere Thema ist“, sagt Radiojournalist Gollinger.

So schafft es die Stechmückenbelastung in Oberbayern vielleicht nicht auf die große Agenda nach Berlin – andere Themen aber durchaus. Wenn die Bundesregierung über die Verteilung ukrainischer Geflüchteter streitet, dann nicht, weil Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Platzproblem in ihrem Regierungsbüro hat. Eine solche Debatte schafft es nach Berlin, weil eine kleine Gemeinde, irgendwo in Deutschland, so laut und kräftig schreit, dass es bis ins Regierungsviertel dröhnt. Und das schafft diese Gemeinde, weil ihr der Lokaljournalismus hilft. Lokale Medien machen das Problem sichtbar, geben dem Problem eine Bühne und sind Sprachrohr für die Menschen vor Ort.

Lokaljournalismus ist die Lebensversicherung unserer Demokratie

Wie viele Lokalzeitungen, regionale Radios und Fernsehsender es in Deutschland gibt, dazu liegen keine konkreten Zahlen vor. Das Auswärtige Amt zählt derzeit aber noch rund 320 regionale Tageszeitungen. Noch. Denn die wirtschaftliche Lage – insbesondere der Printmedien – ist beängstigend.

Die Auflagen schwinden Jahr für Jahr. Anfang der 90er Jahre sind es noch knapp 30 Millionen verkaufte Zeitungen pro Jahr; Ende des vergangenen Jahres nur noch knapp elf Millionen Stück. Tageszeitungen werden zu Wochenzeitungen oder verschwinden sogar komplett vom Markt. Das Anzeigengeschäft geht massiv zurück. Redaktionen werden sukzessive verkleinert, Stellen nicht mehr nachbesetzt oder Personal sogar entlassen. Der Bundesverband der Zeitungsverleger und Digital Publisher warnt anlässlich dieser Entwicklung vor so genannten Nachrichtenwüsten in Deutschland – bereits im kommenden Jahr sollen 40 Prozent der deutschen Gemeinden ohne Lokalzeitung sein.

Die gesellschaftlichen und politischen Folgen dieser Entwicklung können wir seit Jahrzehnten in den USA beobachten. Dort leben derzeit rund 70 Millionen Menschen in solchen Nachrichtenwüsten – sie haben keinen Zugang zu lokalen Informationen durch die freie Presse.

Fehlen lokale Medien, dann zahlt die Gesellschaft den Preis dafür. Und der ist hoch. Verwaltungskosten steigen, Korruption nimmt zu. Auch Unternehmen weisen mehr Fehlverhalten auf, beispielsweise bei Umweltdelikten. Im Gegenzug nehmen das politische Engagement und die Wahlbeteiligung ab. Die gesellschaftliche Spaltung wird stärker. Das belegen unzählige US-amerikanische Studien, wie zuletzt auch „The State of Local News“ der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois.

Warum das so ist? Weil das Kontrollorgan der freien Presse fehlt! Um genau das in Deutschland zu verhindern, fordert Transparency International Deutschland e.V. erneut eine bessere finanzielle Förderung lokaljournalistischer Angebote: „Nicht umsonst ist die Pressefreiheit in Artikel 5 unseres Grundgesetzes geschützt. Die Medien, insbesondere auch die regionalen, sind die Watchdogs unserer Demokratie. Sie schauen der Politik auf die Finger, decken Missstände auf und verhindern vielfach allein durch ihr Dasein Machtmissbra“, sagt Ulrike Fröhling, die Leiterin der Arbeitsgruppe Medien von Transparency Deutschland.

Ist Lokaljournalismus der bessere Journalismus?

Den Lokaljournalismus besser finanziell fördern und absichern? „Unbedingt!“, bejaht Markus Gollinger: „Die Menschen und ihre Themen haben es verdient, ein Podium zu bekommen und ins Rampenlicht gestellt zu werden.“

Vor allem Lokalradio hat im Kontext der aktuellen Entwicklungen der Medienbranche die große Chance auf eine Renaissance: Sterben Lokalzeitungen weg oder verschwinden ihre Artikel zunehmend hinter Online-Bezahlschranken, kann der Lokalfunk diese Lücke füllen. Kein anderes Medium vermag die Menschen so schnell und unmittelbar, barrierefrei und kostenlos mit lokaler Information zu versorgen wie das Radio.

Nutzen die Radios ihre Chance nicht, werden die Informationen über kurz oder lang fehlen. „Man muss schon Idealist sein, um so lange dabei zu bleiben. Aber es lohnt sich.“, sagt Gollinger, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Dienstjubiläum feiert. „Aber es gibt an jedem Tag diesen Moment, da sagt dir eine Hörerin oder ein Hörer: Ihr seid super! Es ist toll und wichtig, was ihr macht. Und das wiegt alles andere auf.“

Michaela Hessenberger unterstützt das. Die Printjournalistin ist sich des Zeitungssterbens bewusst. Am gedruckten Blatt hält sie nicht fest – am Lokaljournalismus dafür desto mehr.

Ist Lokaljournalismus der bessere Journalismus? „Es ist der nähere Journalismus. Und vielleicht auch ein Stück weit der echtere Journalismus“, so Hessenberger.

Ist Lokaljournalismus der ehrlichere Journalismus? „Muss er sein“, ergänzt sie. „Ein Fall Relotius wäre im Lokaljournalismus nicht möglich gewesen. Die soziale Überwachung ist zu engmaschig. Du kannst in der Gemeinde keine Figur erfinden, die niemand kennt.“

Bild Katja Ilnizki
Katja Ilnizki ist freie Journalistin und selbstständige Beraterin für Radio und TV. Ihre Vision sind starke Medienmarken durch starke journalistische Inhalte.
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