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Das Magazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien

Demokratie braucht Medienvertrauen
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Demokratie braucht Medienvertrauen

Demokratische Gesellschaften sind auf das Vertrauen der Menschen in Politik und Medien angewiesen. Doch beides scheint derzeit immer wieder erschüttert zu werden, zumal der Einsatz Künstlicher Intelligenz die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Täuschung erschwert. Außerdem schüren bewusst verbreitete Desinformationen Medien- und Demokratieskepsis.

Text Senta Krasser

Politiker-Avatare: Wäre das nicht die perfekte Lösung für die Probleme unserer Zeit, in der die Skepsis an unserem demokratischen Gefüge mit jeder Abstimmung im Wahljahr 2024 zu wachsen scheint? Also wenn uns nicht Menschen aus Fleisch und Blut regierten, sondern ihre von Künstlicher Intelligenz (KI) generierten Zwillinge?

So ein Politiker-Avatar ist unbestechlich und frei von Skandalen, trifft faktenbasierte Entscheidungen und agiert vollkommen transparent. Er arbeitet unermüdlich, hat Zugriff auf unbegrenztes Wissen und kommuniziert in jeder Sprache. Dabei bleibt er stets sachlich und rational, ohne emotionale Ausbrüche, ohne Ideologie, gemeinwohlorientiert und ohne Ego oder Interesse an einer Wiederwahl. Ein perfekter Diener des Volkes, der keine Fehler macht und keine Pausen braucht. Oder etwa nicht?

Kann KI die Demokratie retten?

Dieser Utopie ist die Moderatorin Linda Zervakis in einer bemerkenswerten Reportage nachgegangen, die ProSieben im Vorfeld der Landtagswahlen in Ostdeutschland zur Primetime ausgestrahlt hat. „Kann KI die Demokratie retten?“, wollte die Journalistin wissen und reiste dafür durch die Republik, um mit Politikerinnen und Politikern sowie Wahlberechtigten zu sprechen, aber auch mit KI-Experten wie Sascha Lobo.

Lobo gehört nicht zu den 51 Prozent der Europäer, die Politikerinnen und Politiker gerne durch einen KI-Algorithmus ersetzt sähen. Er ist aber durchaus der Meinung, dass man Künstliche Intelligenz konstruktiv einsetzen kann, um unsere angeschlagene Demokratie zu stärken und Vertrauen in die Politik wieder aufzubauen. KI müsse aus seiner Sicht sogar dabei helfen. „Das fängt schon damit an, dass die Gegenseite, die Leute, die die Demokratie attackieren, bereits mit Künstlicher Intelligenz arbeiten“, sagt er im Film. „Da müssen wir eine Art Waffengleichheit herstellen.“

Diese „Gegenseite“ hat viele Gesichter. Eines davon, um bei der Zervakis-Doku zu bleiben, gehört Norbert Kleinwächter. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag ist ein first mover und heavy user seiner Partei im Internet und löste im vorigen Jahr eine Debatte aus, weil er Bilder auf Social Media postete, die täuschend echt aussehen, aber künstlich erstellt sind. Sie zeigen zum Beispiel eine Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund mit wutverzerrten Fratzen, dazu den Text: „Nein zu noch mehr Flüchtlingen.“ Parteikollegen von ihm bastelten mit Hilfe von KI fotorealistische Abbildungen mit ähnlicher Intention.

Kleinwächter gab damals unumwunden zu, dass damit „Stereotype bedient werden“. Er sei „sehr, sehr dankbar“ für die neue Technologie. Inzwischen kennzeichnet der Politiker seine künstlich erzeugten Bilder. Doch den Vorwurf, dass er und seine Partei mit solchen Symbolbildern etwas vorgaukeln, was nicht wahr ist, dass sie falsche Inhalte verbreiten und damit Ängste und Stimmungen schüren, dass sie letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den demokratischen Diskurs aufs Spiel setzen – das weist Kleinwächter im Film weit von sich.

Solche Begegnungen machen nachdenklich. Vor allem, wenn man weiß, dass die AfD allein auf Tiktok dreimal so viele Nutzende erreicht wie alle anderen Parteien im Bundestag zusammen. TikTok, aber auch YouTube und Instagram sind bei Erst- und Jungwählenden meist die erste Medienwahl. Für sie ist das, was Politikerinnen und Politiker auf Social Media und Messengern veröffentlichen, als Informationsquelle genauso relevant wie journalistische Angebote. Das zeigt u.a. die Studie „Intermediäre und Meinungsbildung“, eine Sonderauswertung des Medienvielfaltsmonitors der Medienanstalten.

Radikale Parteien haben auf das Infoverhalten der Jungwählenden schnell reagiert. Ihr „Erfolgsrezept“: kurze, plakativ bebilderte Botschaften, die durch den Algorithmus verbreitet werden. Denn dieser honoriert polarisierende Inhalte mit vielen Kommentaren. Fatalerweise trägt, wer Falschbehauptungen richtigstellt, so ungewollt zur Verbreitung bei.

News Avoidance und Medienvertrauen

Im Kontext von Wahlen, und das ist die gute Nachricht, wird Social Media als Infoquelle allerdings nicht blind vertraut. Bevor Bayern im Oktober 2023 einen neuen Landtag wählte, ließ die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) in einer Studie erfragen, wo sich Wahlberechtigte informieren (vgl. S. 26-27). Die Älteren tun es nach wie vor und überwiegend in den klassischen journalistischen Medien, während die 18- bis 24-Jährigen Informationen eher auf Social Media aktiv suchen, wenn auch mit durchaus kritischem Blick. So sind mehr als ein Drittel in Sorge, dass das Wahlergebnis durch bewusst gestreute Falschinformation beeinflusst wird.

Die schlechte Nachricht, die über Wahlkämpfe hinaus bedenklich stimmen muss: Mehr als ein Drittel aller Befragten stimmte den Aussagen zu: „Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren.“ Und auch das Phänomen der News Avoidance greift offenbar um sich: Knapp ein Fünftel gab an, Nachrichten aktiv zu umgehen.

Nun war das Vertrauen in „die Medien“ schon immer gewissen Schwankungen unterlegen, wie Langzeitforschende von der Uni Mainz regelmäßig belegen (vgl. Literaturtipps, S. 25). Aktuell steht es um die Vertrauenssache eigentlich ganz gut: Nachdem das weltweit tobende Corona-Virus die Beziehung der Deutschen zu Radio, TV und Zeitungen nach einem anfänglichen Hoch beschädigt hatte, pendelte es sich 2023 auf Vorpandemieniveau ein. Mit einer Quote von 44 Prozent liegen die Medien zwar hinter Justiz (59 Prozent) und Wissenschaft (69 Prozent), aber, wenn auch knapp, noch vor der Bundeswehr. Diese schloss im Zuge der Scholz’schen Zeitenwende mit 43 Prozent im Ranking auf. Abgeschlagen liegen die Politik und die Kirchen mit je 17 Prozent auf den hinteren Rängen.

Die Mainzer Studie gibt indes keinen Anlass, sich entspannt zurückzulehnen. Die Medienskepsis bleibt groß, beängstigend groß. Und dass sie Hand in Hand geht mit einem geringen Vertrauen in unsere Demokratie, ist ein Grund zur Sorge, die viele Experten und Expertinnen teilen.

Von der Politik allein gelassen? Demokratieskepsis als Folge

„Da ist Holland in Not“, resümierte zum Beispiel der Psychologe Jens Lönneker, nachdem er im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse und des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungs-verleger (BDZV) tiefenpsychologische Gespräche mit Medienkritikern geführt und die Wechselwirkung von Medienvertrauen und Demokratie untersucht hatte. Ihm zufolge ist jeder vierte Deutsche „medienavers“, und der überwiegende Teil dieser Menschen glaube im Grunde nicht mehr an dieses System, fühle sich von der Politik allein gelassen. „Und dann ist der logische nächste Schritt der“, so Lönnecker, „die Demokratie in Frage zu stellen. Selbst wenn diese Leute sagen, dass sie Demokraten sind, sind sie anfällig für Menschen, die unter dem Vorwand der Systemkritik völlig andere Absichten haben.“ Sprich: Für Menschen, denen jedes Mittel Recht ist, um die Realität so zu deuten, wie es ihren Zwecken dient. Menschen, die bewusst desinformieren.

Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung („Verunsicherte Öffentlichkeit“, Februar 2024) halten acht von zehn Deutschen absichtlich verbreitete Falschbehauptungen für demokratiegefährdend, weil sie politische Meinungen manipulieren, Wahlen beeinflussen und die Gesellschaft spalten. Nur eine Minderheit (13 Prozent) glaubt, bei diesem Thema gehe es nur darum, alternative Meinungen schlecht zu machen und als unglaubwürdig darzustellen.

Nun ist die Wirkung von Desinformation – egal, ob sie mit oder ohne KI erstellt und verbreitet wurde – mangels ausreichender Daten noch nicht wirklich entschlüsselt. Dahinter, ob und wie jemand darauf reagiert, steckt ein hochkomplexer Wirkungsprozess aus persönlicher Einstellung, Eigenschaften von Desinformation und aktuellem Weltgeschehen. Unklar ist auf wissenschaftlicher Seite auch, ob Websites und Social-Media-Posts mit gefälschten oder irreführenden Botschaften tatsächlich schon Wahlen beeinflusst haben. Klar ist aber, dass die Macht der Meinungsbildung im Netz zunimmt. Und auch manches klassische Medium  muss sich fragen lassen, welche Standards der Qualitätsjournalismus unbedingt einhalten sollte.

Desinformation erzeugt Misstrauen gegen demokratische Strukturen

Wenn aus Worten Taten werden: Donald Trump, der sich im November erneut zum US-Präsidenten wählen lassen will, behauptet bis heute, dass Joe Bidens Sieg im Kopf-an-Kopf-Rennen 2020 einzig und allein durch Wahlbetrug zustande gekommen sei. Obwohl es für den angeblichen Betrug keine konkreten Hinweise gab, forderte er seine Anhängerinnen und Anhänger zum Boykott des Wahlergebnisses auf. Die Bilder eines wütenden Mobs, der am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington D.C. stürmte, haben weltweit die Menschen aufgerüttelt.. In den Medien war von einem schwarzen Tag für die Demokratie die Rede. Wird er sich womöglich wiederholen?

Die Frage ist akut, weil Desinformationskampagnen auch von außen gesteuert werden. Putins Russland führt seit Jahren einen „grauen Krieg“ gegen den Westen, indem es über seine so genannten „Informationskrieger“ insbesondere vor Wahlen Lügen verbreiten lässt. So kursierte vor der Europawahl die „News“, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij habe Hilfsgelder der EU und der USA unterschlagen. Das Ziel: Europas Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren.

„Disfluencer“ nutzen Gefühl der Entmündigung

Hunderte solcher Falschbehauptungen finden sich im Netz, gespeist von unzähligen Accounts in den sozialen Medien, die bei den Menschen immer wieder Zweifel säen: Was stimmt hier? Dieser Mechanismus ist als Folge von Desinformation immer wieder zu beobachten, wie sich zuletzt bei den Ausschreitungen im westenglischen Southport zeigte.

Nachdem drei Mädchen bei einem Tanzworkshop ermordet worden waren, begannen Accounts die identische Lüge zu verbreiten, dass der Mörder ein Muslim und illegal in das Vereinigte Königreich eingereist sei. Nichts davon stimmte. Innerhalb von Stunden tauchte ein wütender Mob auf, attackierte Moscheen, zündete Gemeindezentren und Hotels an, in denen Migranten untergebracht waren, plünderte Geschäfte und verletzte Polizeibeamte.

Die Flammen der Gewalt, die bald über Southport hinaussprangen, wurden laut britischen Medien durch russische Trolle geschürt, aber auch durch Stimmen aus dem extrem rechten Spektrum mit gewaltigem Multiplikationseffekt, wie die des Influencers Andrew Tate, dem auf Elons Musks Plattform X 9,8 Millionen Menschen folgen. „Disfluencer“ lautet ein relativ neuer Sammelbegriff für solche Figuren, die ein starkes, aber diffuses Gefühl der Unzufriedenheit, Entmündigung und kulturellen Bedrohung von außen für ihre Zwecke nutzen.

Alles, was die Menschen wütend macht, bringt ihnen Klicks und ökonomischen Erfolg. Zugleich fördert es ein Umfeld, in dem Emotionen und Vorurteile wichtiger sind als Fakten.

Gelingt es, das Misstrauen gegenüber Politik und Medien abzubauen?

Demokratie beruht auf Meinungsbildung durch Fakten. Fakten und Informationen, die von Journalistinnen und Journalisten recherchiert, geprüft, eingeordnet und verbreitet werden. Diese Aufgabe zur professionellen Filterung wird, siehe Trump, siehe Ukraine, siehe Southport, immer wichtiger in einer zunehmend von KI beeinflussten Medienwelt, in der die Grenzen gesetzlich noch nicht abgesteckt sind. Der „AI Act“ soll KI regulieren, ist aber noch nicht rechtskräftig.

Natürlich sind Journalisten nicht unfehlbar. Sicher auch nicht alle, die für klassische Qualitätsmedien arbeiten, wie der Fall Claas Relotius gezeigt hat. Manchmal verbreiten Redaktionen unwissentlich auch selbst Falschnachrichten oder leiten welche weiter – wie die vom angeblichen Bettwanzenproblem in Paris, was den Unfug auf eine höhere Glaubwürdigkeitsstufe hob. Qualitätsstandards einzuhalten ist angesichts der ökonomischen Zwänge durch sinkende Auflagen und Reichweiten seriöser Nachrichtenmedien auch nicht immer einfach. Schlagzeilen-Journalismus, wie er in Boulevardmedien gern betrieben wird, erhöht das Vertrauen in die Medien jedenfalls nicht gerade. Die Frage, wie sich die journalistische Arbeit verbessern lässt, treibt die Zunft selbst täglich um. Könnte da ausgerechnet KI nicht nur ein Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein?

Linda Zervakis präsentiert in ihrer eingangs erwähnten ProSieben-Reportage eine Software, mit der sich Politikerlügen in Echtzeit entlarven lassen. Sicher ein spannendes Tool mit Blick auf die bevorstehende US-Wahl. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit es in der Berichterstattung gelingt, sich ein Stück weit verlorengegangenes Vertrauen in Politik und Medien zurückzuholen.

Bild Senta Krasser

Senta Krasser arbeitet als freie Journalistin in München. Sie schreibt über Medienthemen für Tageszeitungen und Fachzeitschriften wie medium magazin, Medienkorrespondenz, Blickpunkt:Film und DWDL.

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